Zitat:

Es setzt sich nur so viel Wahrheit durch, als wir durchsetzen; der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein. - Bertold Brecht, „Leben des Galilei“

Zitat:

Bedrohlich ist das Volk für die Herrschenden, wenn es ohne Furcht ist.“ -Tacitus (römischer Historiker)

Zitat:

Die Furcht vor Übervölkerung tritt stets in Perioden auf, in denen der bestehende Sozialzustand im Zerfall begriffen ist. August Bebel

Donnerstag, 19. Oktober 2017

Es wird gejammert, die Ursachen allerdings …

Es wird gejammert, aber werden die Ursachen richtig verortet?
Unternehmen im Harz fehlen Mitarbeiter“, ist ein Beitrag in der MZ, Quedlinburger HarzBote, vom 17.10.2017, Seite 9, überschrieben. Zu erfahren ist, dass es einen Brockenstammtisch gibt und „der Brockenwirt vor kurzem zeitweise Zimmer seines Hotels auf dem 1141 Meter hohen Harzgipfel sperren“ musste, „weil ihm Reinigungspersonal fehlte“. Selber saubermachen ist nicht und so ist er „einer von vielen Unternehmern im Harz, die ihre offenen Stellen nur mühsam besetzen können.“ Und so diskutierte er „mit Politikern, Tourismusexperten, Akademikern und Geschäftsleuten … am Montag beim 94. Brockenstammtisch über das Thema „Zukunftsprojekte im Harz – Wo sind die Arbeitskräfte?“. „Von dem Thema war oder ist jeder hier betroffen“, stellte“ der Brockenwirt fest. Arbeitskräfte selbst waren am Stammtisch anscheint nicht vertreten, aber die werden ja ohnehin gesucht. 
Nur ist dem wirklich so? Wird den Menschen hierzulande nicht seit Jahrzehnten eingeredet, dass Arbeit in Form von abhängiger Beschäftigung eine Gnade ist, welche sogenannte Arbeitgeber (Unternehmen) den sogenannten Arbeitnehmern (ihre Arbeitskraft verkaufen müssenden) zukommen lassen, damit diese nicht darben müssen und ihre Existenz mehr oder weniger schlecht sichern können? Und nun gibt es zu wenig Menschen, welche diese Gnade erlangen wollen? Hoppla, da stimmt doch was nicht, wird gar festgestellt, dass nicht die Menschen die Unternehmen brauchen, sondern umgekehrt, die Unternehmen die Menschen um ihre Existenz zu sichern? Dabei ist die Tätigkeit einer Reinigungskraft, sie soll in keiner Weise unterschätzt werden, nicht gerade eine Tätigkeit, welche ein hohes Qualifikationsniveau erfordert, eigentlich fast jeder und jede ist nach kurzer Einarbeitung in der Lage diese Tätigkeit auszuüben.

Aber der Arbeitskräftemangel scheint allgemein und so jammern die Unternehmer, dass nicht genügend Menschen da sind, welche sich streiten um die Gnade für sie arbeiten zu dürfen. Und „zu viele junge Leute würden gut ausgebildet die Region verlassen“, ist ebenfalls zu lesen, allerdings sollte die Frage nach dem warum gestellt werden. Zudem „stehe der Landkreis Harz mit täglich 22 000 Pendlern an der Spitze des Landes,“ und das sind nicht gerade wenige. Allerdings grenzt im Harz das Land Sachsen-Anhalt an das Land Niedersachsen und letzteres ist nach 1990 nicht deindustrialisiert worden und so fanden damals schon viele gut qualifizierte Arbeitskräfte dort Arbeit. Sie konnten nicht nur ihre Arbeitskraft dort verkaufen, sondern sie erzielten auch einen besseren Preis! An letzterem hat sich bis heute nichts geändert, das Lohngefälle zwischen Ost und West ist nach wie vor enorm und das ist gerade im ehemaligen Grenzgebiet am besten spürbar. Da den Menschen dazu über Jahre hinweg eingeredet wurde, dass sie doch flexibel sein müssten und der Weg zur Arbeit auch über weite Strecken zumutbar ist, muss sich nicht gewundert werden, wenn die Menschen diese Flexibilität auch in ihrem Interesse nutzen. Das in Niedersachsen mehr verdient wird, als in Sachsen-Anhalt, stellt die Chefin der Arbeitsagentur durchaus fest, genauso das es „zweieinhalbmal soviel Auspendler wie Einpendler“ gibt, aber auch das „die Arbeitslosenquote im Landkreis Harz im September bei nur 5,8 Prozent“ lag. In der Politik wird ein solcher Zustand ja schon fast als Vollbeschäftigung betrachtet, was für die Arbeitskräfte suchenden Unternehmen allerdings nicht gut ist und so wird festgestellt, das „Personalengpässe in den Unternehmen … langfristig nur gemeinsam von Betrieben, der Agentur für Arbeit, Verbänden oder Kammern gemindert werden“ können! Das Objekt der Begierde (die ihre Arbeitskraft verkaufen müssenden) allerdings hat kein Mitspracherecht, es hat nach wie vor zur Verfügung zu stehen und zu funktionieren! 
Weiter ist zu lesen: „Unternehmen müssten sich und ihre Branche für Bewerber so attraktiv wie möglich machen und diese anständig bezahlen.“ Was aber unter anständiger Bezahlung zu verstehen ist, ist nicht zu erfahren und es gibt genügend Beispiele für Unternehmen, welche der Meinung sind, ihre Mitarbeiter anständig zu entlohnen, wenn sie Mindestlohn zahlen, einen Mindestlohn, welcher zur Zeit seiner Einführung schon nicht mehr ausreichend war, den Lebensunterhalt zu bestreiten. Dazu kommt, das bestimmte Arbeitsplätze nicht freiwillig besetzt werden, sondern unter zwang, was für die Arbeitskraft besitzenden auch nicht gerade motivierend ist.
Ja es ist schon interessant, wie an den Interessen der Arbeiterinnen vorbei diskutiert wird, da hilft auch wenig, dass festgestellt wird, „„das Lohnniveau ist sehr differenziert … es gibt da deutliche Extreme.““ Und so wird eine weitere Lösung präsentiert, nach dem bekundet, das „Nachwuchsgewinnung und Qualifizierung neu gedacht werden“ muss, nämlich „Arbeitskräfte aus dem Ausland, etwas aus Spanien, Bulgarien oder Rumänien, bräuchten mehr als nur einen Arbeitsvertrag.“ Nun ja, mit einem Arbeitsvertrag kommen ja viele Einheimische schon nicht aus und der Trend zum Zweit- und Drittjob, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, ist allgemein zunehmend.
Schon komisch, da wird auf der einen Seite das Lohngefälle festgestellt, aber anstatt dafür zu streiten, dass Löhne gezahlt werden, welche zur Sicherung des Lebensunterhaltes ausreichend sind, wird als Alternative die Möglichkeit weiterer Arbeitsverträge propagiert. Aber dem nicht genug, wird auch noch für „länger(e) Probezeiten oder Einarbeitungsphasen“ geworben, also die Unsicherheit eines Arbeitsverhältnis nicht minimierend, sondern potenzierend, dabei streben die meisten Menschen schlicht weg ein bestimmtes Maß an existenzieller Sicherheit an.
Nein, die Unternehmer scheinen bis heute nicht begriffen zu haben, dass sie es eigentlich selbst zu verantworten haben, dass ihnen oftmals Arbeitskräfte im erforderlichem Maße (quantitativ und qualitativ) nicht zu Verfügung stehen. Das fängt bei vernachlässigter Ausbildung an und hört bei ungleicher Bezahlung für gleiche Arbeit nicht auf. In der Vergangenheit konnten Unternehmen aus dem Vollen schöpfen, was sie dazu verleitete mit ihren Arbeiterinnen nicht sorgsam umzugehen, sondern deren Interessen mit Füßen zu treten, anstellen und entlassen war für viele Unternehmen eine lange praktizierte Vorgehensweise, welche von der Politik kräftig unterstützt und durch ein umfassendes System der Leiharbeit potenziert und beflügelt wurde. 
Viele Arbeiterinnen werden von den Agenturen der Elendsverwaltung von einem Unternehmen zum anderen getrieben, wenn das nicht funktioniert gibt es zwischendurch eine Qualifizierungsmaßnahme, damit der Zirkus weiter gehen kann. Die Realeinkommen wurden mittels dieser Praxis kontinuierlich gesenkt, so das bei immer mehr Arbeiterinnen das Einkommen zum Bestreiten des Lebensunterhaltes nicht mehr ausreicht, eine zweite Tätigkeit aufgenommen und wenn das nicht möglich, bei den entsprechenden Behörden um Almosen gebettelt werden muss. Prekäre Beschäftigung nennt sich dieses und da wundern sich die Damen und Herren am Brockenstammtisch über die Konsequenzen ihres eigenen Tuns. Die Unternehmen übrigens, welche ihre Arbeiterinnen einigermaßen fair behandeln, haben die geschilderten Probleme nicht, oder in einem geringerem Umfang!

Vorwort im Nachhinein:
Übrigens eine interessante Metapher mit dem höchsten Berg des Nordens in diesem Land, wohnten in alten Mythologin doch die Götter oft auf Bergen und war der Brocken nicht selbst eine alte Kultstätte, werden nicht gar Unternehmen und Unternehmer als Heilsbringer dargestellt, welche dem einfachen Volk Möglichkeiten zum arbeiten bieten und somit zur Sicherung ihrer eigenen, erbärmlichen Existenz? Nur was sind Götter ohne Gläubige und was Unternehmen ohne Arbeitskräfte? Sie sind ein Nichts! Nicht die Götter machen die Gläubigen, sondern die Gläubigen schaffen sich Götter ...!

Interessant in diesem Zusammenhang folgendes Gedicht von Georg Herwegh aus dem vorletzten Jahrhundert:

Mann der Arbeit, aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still.
Wenn dein starker Arm es will.

Deiner Dränger Schar erblaßt,
Wenn du, müde deiner Last,
In die Ecke stellst den Pflug.
Wenn du rufst: Es ist genug!

Brecht das Doppeljoch entzwei!
Brecht die Not der Sklaverei!
Brecht die Sklaverei der Not!
Brot ist Freiheit, Freiheit Brot!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen