Der große Grundgedanke,
dass die Welt nicht als ein Komplex von fertigen Dingen zu fassen ist,
sondern als ein Komplex von Prozessen, worin die scheinbar stabilen
Dinge nicht minder wie ihre Gedankenabbilder in unserm Kopf, die
Begriffe, eine ununterbrochene Veränderung des Werdens und Vergehens
durchmachen, in der bei aller scheinbaren Zufälligkeit und trotz aller
momentanen Rückläufigkeit schließlich eine fortschreitende Entwicklung
sich durchsetzt – dieser große Grundgedanke ist, namentlich seit Hegel,
so sehr in das gewöhnliche Bewusstsein übergegangen, dass er in dieser
Allgemeinheit wohl kaum noch Widerspruch findet. Aber ihn in der Phrase
anerkennen und ihn in der Wirklichkeit im einzelnen auf jedem zur
Untersuchung kommenden Gebiet durchzuführen, ist zweierlei. Geht man
aber bei der Untersuchung stets von diesem Gesichtspunkt aus, so hört
die Forderung endgültiger Lösungen und ewiger Wahrheiten ein für allemal
auf; man ist sich der notwendigen Beschränktheit aller gewonnenen
Erkenntnis stets bewusst, ihrer Bedingtheit durch die Umstände, unter
denen sie gewonnen wurde; aber man lässt sich auch nicht mehr imponieren
durch die der noch stets landläufigen alten Metaphysik unüberwindlichen
Gegensätze von Wahr und Falsch, Gut und Schlecht, Identisch und
Verschieden, Notwendig und Zufällig; man weiß, dass diese Gegensätze nur
relative Gültigkeit haben, dass das jetzt für wahr Erkannte seine
verborgene, später hervortretende falsche Seite ebensogut hat wie das
jetzt als falsch Erkannte seine wahre Seite, kraft deren es früher für
wahr gelten konnte; dass das behauptete Notwendige sich aus lauter
Zufälligkeiten zusammensetzt und das angeblich Zufällige die Form ist,
hinter der die Notwendigkeit sich birgt – und so weiter.
Quelle:
Aus „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie“
Friedrich Engels MEW Band 21, Seite 291/292, Dietz Verlag Berlin 1984
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