Zitat:

Es setzt sich nur so viel Wahrheit durch, als wir durchsetzen; der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein. - Bertold Brecht, „Leben des Galilei“

Zitat:

Bedrohlich ist das Volk für die Herrschenden, wenn es ohne Furcht ist.“ -Tacitus (römischer Historiker)

Zitat:

Die Furcht vor Übervölkerung tritt stets in Perioden auf, in denen der bestehende Sozialzustand im Zerfall begriffen ist. August Bebel

Dienstag, 20. November 2018

Zur Erinnerung an Herbert Kegel, eines großen Musikers der DDR! - Gastbeitrag


Bildschirmfoto 2018-11-20 22:16 Uhr
Heute vor 28 Jahren, am 20. November 1990, nahm sich der große Dirigent der Deutschen Demokratischen Republik, Herbert Kegel, das Leben. In Japan genießt er bis heute als einer der Großen seiner Kunst, der Orchesterleitung, höchste Bewunderung. Die japanischen Musiker verehren ihn als einen der bedeutenden Lehrer deutscher musikalischer National- und damit auch Weltkultur.
Anders im geistig so kleinen Nach-Anschluß-Großdeutschland.
Die Rufmord-“Enzyklopädie“ (Enzyklopädie der tausend Arten, wie man einen Menschen nach seinem Tod weiter morden kann), Wikipedia, wirft ihm den Satz hinterher: „Er war mit sich selbst nie im Reinen, und er ist auch nie ins Reine gekommen.“
Man stelle sich vor, dieser Satz wäre nach dem Selbstmord Kurt Tucholskys geäußert worden – es wäre sofort klar, in wessen Interesse so verleumdet wird. Künstler von solchem Rang – wie Tucholsky und eben auch Kegel – können gar nicht anders arbeiten, als aus dem Ausdrücken und Gestalten und Lösen von tausenderlei Widersprüchen ihre klare Sprache zu schmieden. Für die Siegersprecher der jeweils neusten Volksgemeinschaft heißt das: „nicht ins Reine gekommen sein“, und sie fügen etliche Andeutungen an, wie der „Selbst“gemordete dem „überwundenen System“ verbunden gewesen sei und sich dann halt selbst „Im Unreinen“ „gerichtet“ habe. (schon über Erich Mühsam schrieben sie, er habe „sich selbst gerichtet“...)
Nein! – Herbert Kegel war nichts anderes als eines der ersten Menschenopfer der Konterrevolution. Er war mit sich und seiner Sache so rein, wie es die wunderbaren Aufnahmen der Werke der Klassiker bis hin zur Schönberg-Schule bezeugen.
Die Nachricht von seinem Selbstmord war auch für Leute, die wie ich damals glaubten, in der so dünnhäutigen und gesellschaftlich gleichzeitig so dickwändig abgeschotteten Welt der „reinen Kunst“ überleben zu können, ein schwarzer Tag – inmitten aller Desaster die ringsum heranzüngelten. Es war ein ferner Oberton, von dem man ahnte, daß er eines Tages, bei Strafe andernfalls taub zu werden, zum Grundton werden wird, wenn man weiter Kunst und Kultur machen will: Das sich langsam abzeichnende Wissen, daß die Konterrevolution des Überbaus dich zwingen wird, die Basis des Ganzen zu begreifen, um die Kunst nicht zu verraten.
Ich teile hier eine Aufnahme Kegels von der Symphonie opus 21 von Anton Webern. Das widerlegt gleich ein weiteres böswilliges Märchen über die DDR: daß die Musik der Schönberg-Schule, der musikalischen bürgerlichen Avantgarde des XX. Jahrhunderts, dort „unterdrückt“, „verboten“ gewesen sei. Im Gegenteil: Kegel hatte die Möglichkeiten, das Rundfunksinfonie-Orchester Leipzig zu einem der vorzüglichen Klangkörper nicht nur für das klassische Erbe, sondern auch für die Neue Musik auszubauen.
Gerade für die Interpretation der Werke der „Zweiten Wiener Schule“ leistete er Erstaunliches; also der Schule Arnold Schönbergs, aus der auch Hanns Eisler hervorging.
Mich selber hatte im jungen Alter diese Musik der Schönberg-Schule so „erwischt“, daß ich ihr den größten Teil meines aktiven musikalischen Lebens widmete. Noch heute, wenn ich das Solidaritätslied singe, ist das „Schönberg-Schule“. Ich dachte damals, als 13-/14-Jähriger: Mit dem, was die Nazis so hartnäckig als „entartete Musik“ verfolgten, kann man ja nicht so falsch liegen, wenn man darauf fliegt. Diese Schönberg-Schule – fast alle ihre Meister und Gesellen wurden in die Emigration gezwungen, wenn sie nicht „rechtzeitig“ starben - hatte es materiell schwer, in welchem Land auch immer sie Fuß fassen wollten. Es ist aber eine musikhistorische Tatsache, die gerne verschwiegen wird, daß es gerade in der DDR war, wo einer ihrer authentischsten Vertreter, Hanns Eisler, eine Professur bekommen konnte, den ganzen Aufbau des musikalischen Lebens eminent beeinflußte, und – einzigartig auf der Welt – zum Nationalkomponisten wurde, der sogar das Glück hatte, die wundervolle Hymne des sozialistischen Staates zu komponieren.
Es ist logisch, daß nach der bedingungslosen Kapitulation des „3. Reiches“ Organisationen wie der Kulturbund sich nicht zuerst der Pflege dieser subtilen und außerordentlich schwer zu interpretierenden Musik widmen konnten. In wie kurzer Zeit der DDR das gelang, sobald die materiellen und gesellschaftlichen Voraussetzungen geschaffen waren – eine wahrhafte Alphabetisierungskampagne, die zunächst einmal auch die Formung entsprechender Klangkörper voraussetzte – dafür ist Herbert Kegels Schaffen ein eindrückliches Zeugnis.
Die Kapitulation des Faschismus hinterließ Kegel zunächst als Versehrten: Schon am Anfang einer vielversprechenden Karriere, war er in die faschistische Wehrmacht eingezogen worden, und konnte danach, infolge einer Schußverletzung, die eine seiner Hände zerstörte, an eine Fortsetzung seiner Pianistenkarriere nicht mehr denken. Doch welcher Gewinn für die Kunst des Orchesters, der Interpretation sinfonischer Werke!
Es gibt eine CD-Diskette mit Werken Arnold Schönbergs, Alban Bergs, Anton Weberns – gespielt von Kegel und den Leipzigern.Ich kann das den Liebhabern auch dieser Musik, wie seine sämtlichen anderen Aufnahmen, nur wärmstens empfehlen. Wer das Atemberaubende erfühlen will, wie in der DDR, aufgrund vollkommen geänderter sozialer Verhältnisse die „Kunst zu Erben“ ins Werk gesetzt wurde, hat da mehr als ein Musikerlebnis.

Klaus Linder

Mit Genehmigung des Autors von seiner Facebook-Seite übernommen. 

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