Zitat:

Es setzt sich nur so viel Wahrheit durch, als wir durchsetzen; der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein. - Bertold Brecht, „Leben des Galilei“

Zitat:

Bedrohlich ist das Volk für die Herrschenden, wenn es ohne Furcht ist.“ -Tacitus (römischer Historiker)

Zitat:

Die Furcht vor Übervölkerung tritt stets in Perioden auf, in denen der bestehende Sozialzustand im Zerfall begriffen ist. August Bebel

Freitag, 9. März 2012

Fragen über Fragen, Sinn oder Unsinn?

Vorwort: Dieser Beitrag ist schon etwas älter und die Ursache der Betrachtung liegt etwas zurück. Aus mir entfallenden Gründen blieb folgender Beitrag ein Entwurf, wahrscheinlich ist, dass ich noch etwas daran arbeiten wollte. Und einmal davon abgesehen, dass es durchaus Sinn macht über Begriffe und deren Inhalte nachzudenken, sind in diesem Text zwei weltanschaulich verschieden Definitionen für Kultur enthalten, welche in weiten Teilen Übereinstimmung erzielen. Auch hat sich in den letzten Jahren in Quedlinburg etwas in der Frage Infrastruktur verändert, der Tourismus als Wirtschaftsfaktor findet durchaus mehr Beachtung. Auch nicht an Aktualität hat die Überschrift verloren, gerade wenn Berücksichtigung findet, dass Irrationalismus sich gegenwärtig immer weiter entfaltet, was an vielen Medien anschaulich zu sehen ist. 09.03.2012

Fragen über Fragen, Sinn oder Unsinn?
In der Druckausgabe der MZ vom 30.07.2009, Quedlinburger Harzbote, ist auf Seite 9, unter der Überschrift „Fragen über Fragen zum Gildefest“, auch folgendes zu lesen: „Die erste Frage ist bereits eingegangen. Sie lautet: Wie viel Kultur verträgt Quedlinburg?“ Einmal davon abgesehen, dass Leser ihre Meinung zu dieser Frage schon äußern und natürlich weitere Fragen stellen können, welche zum Gilde-Talk, im Rahmen des Gildefestes vom 8. bis 9.August, Regionalpolitikern gestellt werden sollen, möchte ich hier meine Gedanken zur oben genannten Frage äußern.
Dem Volksmund zufolge gibt es keine dummen Fragen, sondern nur dumme Antworten, welches sicher auch für diese Frage zu trifft. Aus diesem Grund erachte ich es nicht nur als wichtig sich inhaltlich mit der Frage auseinanderzusetzen, sondern auch zu versuchen den Hintergrund für diese Frage zu ergründen.
Ja, wie viel Kultur verträgt Quedlinburg? Um nun zu ergründen, wie viel man von einer Sache verträgt, oder wie viel von einer Sache verträglich ist, ist es angebracht sich mit der Sache selbst zu beschäftigen. Was ist eigentlich Kultur und was wird darunter verstanden, ja, was könnte mit Kultur gemeint sein, wenn sie im oben genanten Kontext verwand wird. Eines ist sicher, genauso wie diese Frage ein Eigenkonstrukt des Veranstalters, oder der Moderatoren ist, ist diese aus bestimmten Erwägungen platziert worden und somit Kultur mit einem, diesen Erwägungen entsprechenden Inhalt versehen worden.
Aber was ist nun Kultur?
Der Kulturbegriffs als Zusammenfassung der sprachlichen und lebensstilbezogenen Eigenheiten, der intellektuellen (sowohl technischen wie religiösen und künstlerischen) Praktiken des Wert- und Normgefüges, generell also der kommunikativen und instrumentellen Kompetenzen einer Gesellschaft oder Gruppe.“*
oder Kultur: Entwicklung der Menschen und ihrer Lebensweise in der Geschichte, im Prozess ihrer Arbeit zur Aneignung und Umgestaltung der Natur und ihrer Tätigkeit zur Entwicklung und Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die dadurch entstehenden materiellen und ideellen Lebensbedingungen der Individuen, ihre historische Qualität sowie die sozialen Bedingungen ihrer Nutzung entscheiden über die historisch konkreten und sozial bestimmten Möglichkeiten und Formen der Persönlichkeitsentwicklung der Individuen und ihrer Lebensweise. Zugleich entsteht durch die >>vergegenständlichte Wesenskräfte des Menschen<< (Marx, MEW, Ergänzungsband 1. S. 543) in materiellen und geistigen Leistungen, sozialen Erfahrungen, kulturellen Traditionen und subjektiven Fähigkeiten die Möglichkeit einer ständigen Höherentwicklung der Gesellschaft und der Menschen, es vollzieht sich ein universalgeschichtlicher Prozess der >>Entwicklung der menschlichen Herrschaft über die Naturkräfte, die der sogenannten Natur sowohl, wie seiner eigenen Natur<< (Marx, Grundrisse, S. 387).
Und die erstgenannten kommunikativen und instrumentellen Kompetenzen einer Gesellschaft oder Gruppe sind nun Gegenstand der Frage? Was gibt es da mehr oder weniger nicht zu vertragen? Etwa weg mit den Wert- und Normgefügen, fort mit den Kompetenzen?
Bei Wikipedia ist zu lesen:

Kultur (von lat. colere) ist im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt, im Unterschied zu der von ihm nicht geschaffenen und nicht veränderten Natur. Kulturleistungen sind alle formenden Umgestaltungen eines gegebenen Materials, wie in der Technik, der Bildenden Kunst, aber auch geistiger Gebilde wie etwa im Recht, in der Moral, der Religion, der Wirtschaft und der Wissenschaft.
Der Begriff der Kultur ist im Laufe der Geschichte immer wieder von unterschiedlichsten Seiten einer Bestimmung unterzogen worden.[1]. Je nach dem drückt sich in ihm das jeweils lebendige Selbstverständnis und der Zeitgeist einer Epoche aus, der Herrschaftsstatus oder -anspruch bestimmter Klassen oder auch wissenschaftliche und philosophisch-anthropologische Anschauungen. Die Bandbreite seiner Bedeutung ist dementsprechend groß: Sie reicht von einer rein beschreibenden (deskriptiven) Verwendung („Die Kultur jener Zeit.“) hin zu vorschreibenden (normativen), wenn bei letzterem mit dem Begriff der Kultur zu erfüllende Ansprüche verbunden werden.
Der Begriff kann sich auf eine enge Gruppe von Menschen beziehen, denen allein Kultur zugesprochen wird, oder er bezeichnet das, was allen Menschen als Menschen zukommt, insofern es sie beispielsweise vom Tier unterscheidet. Während die engere Bestimmung des Begriffs meist mit einem Gebrauch im Singular („die Kultur“) verbunden ist, kann ein weiter gefasster Begriff auch von „den Kulturen“ im Plural sprechen.“
(Der Begriff Kultur ist also das eine, seine Anwendung etwas anderes und gelegentlich ist der Inhalt noch etwas drittes, allein was zählen sollte, ist die Anwendung in ihrer allgemeinsten Art, als Spur menschlichen Seins.)
Wie dem immer auch sein möge, Kultur ist nicht handelbar! Und schon allein der Definition entsprechend, ist oben gestellte Frage völliger Humbug! „Wie viel Kultur verträgt Quedlinburg?“, ja wie viel wird es schon vertragen, bis zur Kulturlosigkeit? Zurück zur Natur, das Bewusstsein an den Nagel gehängt und auf die Bäume ihr Affen?
Ich frage mich ernsthaft, wird über Aussagen, wie im Fall dieser Frage, deren Inhalt und Sinn überhaupt noch nachgedacht? Irgendwann habe ich einmal gelesen, dass es heute auch darauf ankommt den Kampf um Begriffe zu führen. Der Kulturbegriff ist ein solcher, welcher mit allem Möglichen, wie auch unmöglichem belegt wird, seinem Ursprung damit entfremdet und so für völlig Abwegiges missbraucht werden kann. In der Regel dazu, bestimmte Vorstellungen von Kultur als allgemeingültig und vereinnahmend dazustellen.
Die gestellte Frage assoziiert Kultur als einen Kostenfaktor, wie so vieles wird hier versucht Kultur, speziell verschiedene Erscheinungsformen in die Warenform zu pressen, um sie handelbar zu machen und den Bedürfnissen des Marktes anzupassen. Wobei selbst dieses ist Kultur! Kultur ist wesentlich mehr und ob sich Entwicklung in ein Korsett pressen lässt ist berechtigter Weise zu bezweifeln. Kultur ist Ursprünglich die Aneignung und pflegende Veredlung der rohen, äußeren Natur; analog auch Bändigung und Höherentwicklung der inneren Natur. Zur Kultur einer Gesellschaft gehören die Gesamtheit der objektiven und subjektiven Ergebnisse menschlicher Tätigkeit, in denen sich die Entwicklung der Menschen ausdrückt; das jeweils historisch-konkrete Ensemble der Lebensbedingungen der Individuen, das die tatsächlich genutzten Ergebnisse menschlicher Tätigkeit und deren Weiterentwicklung umfasst; die Art und Weise, wie und mit welchen Ergebnissen die Individuen an der Produktion, der Verteilung, dem Austausch und der Nutzung des gesellschaftlichen Reichtums teilnehmen; die sich in der praktischen und geistigen Lebenstätigkeit herausbildenden sozial determinierten Bedürfnisse, Fähigkeiten, Genüsse und Produktivkräfte der Individuen; die Formen des sozialen Verkehrs und der geistigen Kommunikation in der Gesellschaft (einschließlich der dafür ausgebildeten Instrumentarien, Techniken und Zeichen); die die sozialen Beziehungen und das persönliche Verhalten der Individuen regelnden Erfahrungen, Gewohnheiten, Normen, Rechtsvorschriften, Traditionen und Wertorientierungen; die Bräuche, Kulte und Riten in der jeweiligen Lebensweise, die Formen der Geselligkeit, des Spiels und der Unterhaltung; die ideologischen Interpretationen und Reflexionen des Verhältnisses der Menschen zur Natur und seiner gesellschaftlichen Stellung und Perspektive in Kunst und Weltanschauung und deren Einwirkungen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse und individuellen Verhaltensweisen; die Organisationen und Institutionen des Überbaus, die von historischen Gesellschaften, ethnischen bzw. lokalen Gemeinschaften, sozialen Klassen und Schichten geschaffen werden, um kulturelle Ziele zu verwirklichen (Bildungs- und Erziehungseinrichtungen, Kommunikationsmittel, Kultstätten, künstlerische Einrichtungen, religiöse Institutionen, wissenschaftliche Lehr- und Forschungsstätten, Organisationsformen von Geselligkeit, Unterhaltung, Erholung und Vergnügen). Allgemeiner ausgedrückt, wird sie vom Menschen, von gesellschaftlichen Verhältnisse hervorgebracht, prägt und verändert, sie ist keine Frage des Vertragens, sondern eine Frage der gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse. Darum geht es in der Frage aber nicht, in der Frage geht es um den so genannten Kulturbetrieb. Quedlinburg gehört zum Weltkulturerbe, es sind die sichtbaren Spuren von Kultur, von kultureller Entwicklung, welche Quedlinburg für Besucher interessant machen. Diese Spuren zu erhalten ist durchaus mit einigem Aufwand verbunden, nur wenn dieses nicht getan wird, werden letztendlich diese Spuren verwischt. Andererseits ist aber gerade dieses kulturelle Erbe unter den gegebenen Verhältnissen ein entscheidender Wirtschaftsfaktor.
Den Fragestellern geht es um bestimmte Formen, in welche sich Kultur gelegentlich ausdrückt und um die Verteilung der geringen Mittel der Stadt.
Da wären zum Beispiel das Theater, die Museen, Jugendeinrichtungen, eine für den Tourismus notwendige Infrastruktur und nicht zu vergessen der gesamte Verwaltungsaufwand für dieses Erbe, was zu finanzieren ist. Kosten welche aufgebracht werden müssen und deren sich bestimmte Kräfte gerne entledigen würde, wenn es möglich wäre.
So müsste es in der Frage nicht darum gehen wie viel Kultur Quedlinburg verträgt, denn da ist sicher noch mehr möglich als jetzt, sondern darum, welche Kosten in Zeiten immer knapperer Kassen zu sparen sind. Wie kurzsichtig solche Fragen sind, zeigt ein Blick hinter die Kulissen. Was vordergründig als Last gesehen wird, nämlich die Ausgaben für das Weltkulturerbe, ist eigentlich die entscheidende wirtschaftliche Infrastruktur der Stadt Quedlinburg. Kein Wirtschaftszweig beschäftigt in dieser Stadt mehr Menschen, kein Wirtschaftszweig bindet mehr Geld in der Stadt, als der Tourismus.
Da das kulturelle Erbe aber nicht in seiner wirtschaftlichen Bedeutung für diese Stadt gesehen wird und da eine völlig falsche Vorstellung von Kultur propagiert wird, kommt es eben zu der irrwitzigen Vorstellung, dass an diesem Posten der Stadt ohne wirtschaftliche Folgen gekürzt werden könnte.
Wenn sich diese Stadt bestimmte Einrichtungen nicht mehr leisten sollte, wie Theater, Museen, Jugendeinrichtungen etc. so wird dieses sicher auch Einfluss auf die kulturelle Entwicklung der Stadt haben, die Kultur wird sich verändern, wie sie sich in den letzten Jahren, Jahrzehnten verändert hat, aber nicht zum Vorteil der Menschen. Kultur ist das menschliche Leben selbst, menschliches Leben bringt sie hervor und wandelt sie, sie ist keine Frage des Vertragens, oder des Wollens, sie ist einfach da und mit unseren Taten beeinflussen wir ihre Entwicklung und auch hier gilt: „Die Zwecke der Handlungen sind gewollt, aber die Resultate, die wirklich aus den Handlungen folgen, sind nicht gewollt, oder soweit sie dem gewollten Zweck zunächst doch zu entsprechen scheinen, haben sie schließlich ganz andere als die gewollten Folgen.“
Ja, wie viel Kultur verträgt Quedlinburg? Vielleicht zurück in die Steinzeit, da war die Kultur noch eine ganz andere? Vielleicht aber auch über die Verteilung der Kosten nachgedacht und jene mehr an diese beteiligen, welche von den kulturellen Errungenschaften, dem kulturellem Erbe wirtschaftlich am meisten profitieren.
Übrigens wäre folgende Frage angebrachter, weil treffender: Wie viel ungenutztes Gewerbegebiet verträgt Quedlinburg? Wenn schon wirtschaftliche Infrastruktur hinterfragt wird, dann doch bitte ausgewogenAber wer möchte dieses schon, da wird doch lieber der Kulturbegriff vorgeschoben, selbst wenn dieser seines Inhalts beraubt werden muss. Also auf zum Gildefest, aber bitte kulturvoll!


Anmerkung: Wenn die Frage nach Kultur gestellt wird, dann sollte diese nicht Quantitativ formuliert werden sondern Qualitativ. Zum Beispiel, welche Kultur verträgt Quedlinburg? Nur selbst unter Berücksichtigung der gegebenen Verhältnisse wird die Antwort rein spekulativ sein, oder aber ganz einfach, jene welche vorzufinden ist!
Wie viel, ist Kultur mengenmäßig zu messen? Vielleicht ja, 100%, oder 80%, vielleicht auch nur 50% Kultur? Solange es Menschen gibt, welche durch ihr bewusstes Leben gestaltend tätig sind, werden es immer 100% Kultur sein, nicht mehr aber auch nicht weniger. Kultur ist Kultur, was nichts daran ändert, dass ihre Erscheinungsform sehr verschieden sein kann und immer der jeweiligen Entwicklungstuffe der Gesellschaft entspricht.

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