Zitat:

Es setzt sich nur so viel Wahrheit durch, als wir durchsetzen; der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein. - Bertold Brecht, „Leben des Galilei“

Zitat:

Bedrohlich ist das Volk für die Herrschenden, wenn es ohne Furcht ist.“ -Tacitus (römischer Historiker)

Zitat:

Die Furcht vor Übervölkerung tritt stets in Perioden auf, in denen der bestehende Sozialzustand im Zerfall begriffen ist. August Bebel

Mittwoch, 7. März 2012

Analphabetentum, eine folgenreiche Erscheinung mit Ursachen!

Sicher hat diese Erscheinung auch Folgen, sie werden oft zur Genüge erläutert, die Ursachen hingegen weniger, oder nur oberflächlich! Dabei liegen die Ursachen nicht im Bildungssystem, sondern im gesellschaftlichen System begründet. Dieses bringt in der Bundesrepublik nicht nur ein mittelmäßiges und veraltetes Bildungssystem hervor, sondern drängt auch ansonsten immer mehr Menschen an den Rand der Gesellschaft. Und wozu müssen die an den Rand gedrängten lesen und schreiben können? Wer lesen und schreiben kann, dem stehen ganz andere Bildungsmöglichkeiten zur Verfügung, welche unter Umständen Erkenntnisse mit sich bringen, die nicht erwünscht sind! Nein, diese geistige Armut ist gewollt und aus diesem Grund auch die schlechten Möglichkeiten der Misere des Analphabetentums zu entrinnen, auf welche in einen Bericht der FAZ verwiesen wird.
Aufmerksam wurde ich auf diesem Beitrag hier, wobei sich dort die Diskussion in eine etwas andere Richtung entwickelte.
Aber wie schon geschrieben, die eigentlichen gesellschaftlichen Ursachen des Analphabetismus spielen im FAZ-Artikel keine Rolle, nur die Auswirkungen und Maßnahmen welche ergriffen, oder eben nicht ergriffen werden. Dabei ist „Bildungsarmut“ nicht neu, schon in den 1980iger Jahren wurde von der Neuen Armut in der BRD gesprochen, welche sich im Gegensatz zur klassischen Armut nicht durch Hunger auszeichnete, sondern durch mangelnde Bildung. Bezeichnend für den Umgang mit dieser Art von Armut ist folgende Aussage: „Ihre rudimentären Kenntnisse im Lesen, Schreiben und meist auch im Rechnen werden weiter verkümmern, weil sie zwar von einem gut ausgestatteten sozialen Netz aufgefangen werden, das sich jedoch nur sehr selten um diese grundlegenden Fähigkeiten kümmert.“ Die Zielrichtung dieser Aussage tritt ziemlich offen zu Tage, es geht weniger um die „rudimentären Kenntnisse“ als vielmehr um das „gut ausgestattete soziale Netz“, von dem die betroffenen aufgefangen werden und welches sich „nur sehr selten um diese grundlegenden Fähigkeiten kümmert.“ Nicht nur das eine ernsthafte Änderung nicht gewollt ist, wären wir auch bei der Hängemattentheorie angekommen, welche davon ausgeht: wenn die sozialen Leistungen nicht so „umfassend“ wären, würden die Menschen gezwungen sein, sich mehr zu bemühen. Einmal davon abgesehen, dass das soziale Netzt alles andere als gut ausgestattet ist, soll nun noch diese Ausstattung mit in die Verantwortung genommen werden. Soziale Sicherheit macht träge, auch wenn der „faule, fette Bauch“ nur am Hungertuche nagt. Auf die Analphabeten gemünzt könnte es bedeuten, dass es besser wäre ihnen Unterricht zu bezahlen, als Grundversorgen! Was letztlich dazu führen könnte, dass Problem relativ schnell in den Griff zu bekommen, wenn z. B. an die Folgen mangelnder Ernährung gedacht wird. Damit diese Theorie aber aufgeht und von den eigentlichen Ursachen abgelenkt werden kann, werden Schuldige präsentiert. So ist zu lesen: „Seit Jahrzehnten wird die Verantwortung für Analphabeten zwischen Berufsbildung und Schulsystem hin und her gereicht und irgendwo dazwischen begraben.“ Und wenn es gelingt die Verantwortung zwischen diesen beiden Bestandteilen des Bildungssystems zu begraben, wird kaum noch jemand nach den eigentlichen Ursachen fragen. Dass damit nebenbei noch von den Ursachen des miserablen bundesdeutschen Bildungssystems abgelenkt wird, braucht nicht gesondert erwähnt zu werden.
Mit dem zivilisatorisch erschreckenden Ausmaß, welches dieses Problem im Laufe der Jahre angenommen hat, konfrontiert folgende Aussage: „Frau Grotlüschens Studie konfrontierte uns mit der Tatsache, das siebeneinhalb Millionen Menschen, im Alter zwischen achtzehn und vierundsechzig Jahren, funktionale Analphabeten sind. Eine konservative Schätzung, betont die Professorin, zumal noch einmal mehr als dreizehn Millionen Menschen hinzukommen, die auch gebräuchliche Wörter nur fehlerhaft schreiben und einfache Texte kaum verstehen. Alle haben die deutsche Schule durchlaufen, weit mehr als die Hälfte der Analphabeten sind deutsche Muttersprachler.“ Dabei ist beachtenswert, das „jeder zweite … einen Hauptschulabschluss“ besitzt, „einem Fünftel wurde gar die mittlere Reife attestiert - für Fähigkeiten, die sie nie hatten“.
Viele dieser Menschen haben sogar Arbeit und „diese Arbeiten, mögen sie noch so einfach sein, unauffällig und richtig zu erledigen erfordert von Analphabeten eine unglaubliche Kreativität. Sie sind fleißig, angepasst, erfinden komplizierte, zuweilen hochoriginelle Lügen. Denn alles ist darauf ausgerichtet, nicht aufzufallen, sich ein Netz von verschwiegenen Helfern zu weben - was Abhängigkeiten schafft, selten Erlösung.“ Also sind Analphabeten hervorragend zu gebrauchende Arbeitskräfte, welcher man sich bei Bedarf relativ schnell entledigen kann. Und wenn sie keine Arbeit haben, so stören sie nicht unbedingt, sondern lassen sich unter Umständen viel leichter als gebildete Menschen gegen ihre eigenen Interessen missbrauchen. Sie erhalten ihre Informationen vorrangig aus den Medien, welchen sie Folgen können und verstehen, dabei scheint ein Großteil der Medien gerade auf dieses Publikum ausgerichtet zu sein, besonders wenn das Niveau der verschiedensten Sendungen Berücksichtigung findet.
Richtigerweise wird im Beitrag von „vergeudeter Intelligenz“ geschrieben, da es den meisten durchaus gelingt sich im Leben trotz ihres gesellschaftlich verursachten Handikaps zurechtzufinden und ihren Platz einzunehmen. Klassisch würde so etwas und die Reaktionen darauf, als Produktivkraftvernichtung in Folge der allgemeinen Krise des Kapitalismus bezeichnet werden, in einer Zeit, wo die meisten Ideologien vom Irrationalismus geprägt werden, ist davon weniger die Rede und die Verantwortung wird an der Oberfläche hin und her geschoben. Da wundert auch nicht, das „das Verhältnis vorhandener Plätze in Alphabetisierungskursen - etwa zwanzigtausend - zum Bedarf, geht man davon aus, dass die meisten Betroffenen zu überzeugen wären, … grotesk“ ist. Letztlich gibt es im Kapitalverwertungsprozess ohnehin schon nicht genügend Arbeitsplätze und die Produktivkraftentwicklung wird deren Zahl in Zukunft noch weiter schrumpfen lassen. Auffällig wird das Problem des Analphabetismus, da gegenwärtig ein Klagelied über den zu erwartenden Mangel an Fachkräften angestimmt wird. Da mit eigenen Mitteln, eine Lösung dieses Problems nicht möglich scheint, müssen andere Wege gesucht werden, die Industrie mit ausreichend Fachkräften zu versorgen. Lösungen sind auch nicht fern, immerhin gibt es über 7 Milliarden Menschen auf der Welt, da werden sich schon die gebrauchten Qualifikationen finden lassen.
So ist an einer ernsthaften Lösung des Problems hierzulande nicht zu denken, einzig Bewegung wird hineingebracht, zur Ablenkung viel Papier beschrieben und Absichtserklärungen verkündet. Dass dabei die Verantwortung auf „breite“ Schultern verteilt wird und besonders Strukturen diese Aufgabe schultern sollen, welche in den letzten Jahrzehnten immer weiter in die allgemeine Verschuldung getrieben wurden, verwundert dabei wenig. Und so heißt es auch im Text: „Und in allen nun nach und nach verfassten Papieren zum Thema taucht der verräterische Satz auf, wonach der Bund diese Sache unterstützt, auch Forschung finanzieren will. Nur die Kurse, das Eigentliche, das Tor in die Welt der Mehrheit, die seien Sache der Länder und Kommunen. Städte, die in ihrer Finanznot gerade nachdenken, ob man Bibliotheken schließt und kleine Theater - die sollen in krisenhaften Schuldenbremszeiten plötzlich freiwillig stemmen, was Jahrzehnte ignoriert wurde?“
Und weiter: „Wenn es gut geht, dann wird diese Sache, die unsere Schande ist, demnächst im Plenum des Bundestages debattiert. Vielleicht tut sich ja doch etwas, werden nicht nur noch mehr wohlklingende Absichtserklärungen produziert. Spätestens im nächsten Jahr wird es ohnehin vorbei sein mit der seligen Wegschauruhe im Land. Dann ist in Sachen Alphabetisierung eine internationale Studie angekündigt, ähnlich der Pisa-Studie. Das wäre der letzte und vermutlich lauteste Weckruf. Und es könnte peinlich werden, wenn Deutschland dort bescheinigt wird, es gehöre bald zur Dritten Welt im Kampf gegen die Unwissenheit.“ Im Kampf für Unwissenheit ist dieses Land hingegen führend und die Medien haben keinen unerheblichen Anteil daran. Das Problem ist nur, dass nichts peinlich genug sein kann, wenn es um Gewinne und Gewinnmaximierung geht. Wem soll es rühren und gab es nicht schon genug Peinlichkeiten in der Vergangenheit, gerade auch im Bezug auf die erwähnte Pisa-Studie? Viel wurde debattiert, die Gemüter erregten sich, nur grundsätzlich geändert hat sich nichts, dabei kommen die Ergebnisse der Pisa-Studie, wie auch der Analphabetismus aus ein und demselben Topf.
Gedacht sei übrigens auch daran, dass mit Bildung heute sehr viel Geld verdient wird und so mancher Hatz VI. Empfänger nach der dritten oder vierten Maßnahme immer noch keine entsprechende, also zum bestreiten des Lebensunterhaltes ausreichend entlohnte, Arbeit gefunden hat. Letztlich ist Qualifizierung nicht alles und wenn die Ware Arbeitskraft sich auf dem Markt nicht verkaufen lässt, spielt sie kaum noch eine Rolle. Zudem sind Menschen mit schlechter Bildung auch viel leichter zu beherrschen, allein schon weil ihnen viele Fähigkeiten fehlen und sie auf Grund ihrer Bildung wesentlich anfälliger für Manipulationen sind.
Analphabetismus ist ein Problem in unserer Gesellschaft, ein Problem mit wachsendem Potenzial, die Ursachen dieses Problems liegen aber nicht im Bildungssystem begründet, sondern im kapitalistischen System selbst. Ein System, welches auf Verwertung zum Zwecke der Maximierung des Profits ausgerichtet ist, ordnet diesem Zweck alles unter. Waren, welche nicht verwertet werden können, fallen der Vernichtung anheim, auch die Ware Arbeitskraft. Massenweise Produktivkräfte werden in Destruktivkräfte verwandelt und das mit allen möglichen Folgen. Massenweise werden dabei Produktivkräfte vernichtet und das nicht nur in Kriegen. Viele Menschen in diesem Lande tragen dem Rechnung, sie verweigern sich in gewisser Hinsicht diesem System, in dem sie für sich eine ausweglose Lage konstatieren und dieser entsprechend handeln, meistens in dem sie sich ihr schicksalhaft fügen. Nur wenn den Menschen Bildung verweigert wird, muss sich nicht gewundert werden, wenn nicht einmal die Möglichkeiten genutzt werden, welche vorhanden sind! Damit wird sich nicht nur in ein Schicksal gefügt, sonder auch die eigene Kraft geschwächt, die eigenen Fähigkeiten verkümmert. Das ist der große Unterschied von neuer Armut, zur alten Armut. Der alten Armut versuchten die Betroffene zu entfliehen, dazu nutzen sie alle sich bietenden Möglichkeiten, insbesondere Bildung, die neue Armut, welche dem kapitalistischen System unserer Zeit entspringt und entspricht, hingegen hat einen Grad der physischen Sättigung erreicht, welche sie als Masse trägt und gefügig werden lässt. Hier ist die Gesellschaft gefragt, die kapitalistische hat kein Interesse daran etwas zu ändern und eine andere ist momentan nicht in Sicht!

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