Sittenlehre; philosophische Wissenschaft, die das Sittliche oder die
Moral,
d. h. die sittlichen Beziehungen, Verhaltensweisen, Werte, Normen und
Anschauungen der Menschen, untersucht. Die Moral ist mit der Ethik als
philosophischer Disziplin nicht identisch. Die Ethik ist die
Wissenschaft von der Moral. Die ethischen Systeme tragen wie die Moral
in der Klassengesellschaft Klassencharakter und sind historisch bedingt.
In den vormarxschen ethischen Lehren wurden die moralischen Werte,
Normen und Anschauungen gewöhnlich von Gott, von einer absoluten Idee,
vom Selbstbewusstsein oder von der sich als ewig und unveränderlich
betrachteten Natur des Menschen abgeleitet. Solche Auffassungen liegen
den verschiedenen Moraltheorien idealistischer Philosophien zugrunde.
Auch die materialistischen Philosophien, die in der Begründung ihrer
ethischen Auffassungen von der Natur des Menschen ausgingen, blieben in
ihren Lehren über die Moral letztlich ebenfalls im Idealismus befangen.
Ein grundsätzlicher Wandel
konnte erst mit der marxistischen Ethik geschaffen werden, die auf dem
Fundament des dialektischen und historischen Materialismus beruht. Hier
werden die Werte, Normen, Prinzipien und Kategorien der Moral aus den
objektiven Bedingungen des materiellen gesellschaftlichen Lebens
abgeleitet und als ein spezifisch ideologischer Ausdruck objektiver
Erfordernisse des Zusammenlebens der Menschen, als Widerspiegelung
gemeinsamer Interessen der Gesellschaft oder bestimmter Klassen, Gruppen
usw. betrachtet.
Damit
hört die Ethik auf, eine Sammlung a priori aufgestellter, mehr oder
weniger erfüllbarer Forderungen zu sein, und wird zur Wissenschaft von
der Moral. In der marxistischen Ethik, in der die moralischen Werte und
Normen aus den objektiven Bedingungen der gesellschaftlichen Entwicklung
abgeleitete werden, stimmen die moralischen Forderungen mit der
historischen Notwendigkeit überein. Die moralischen Werte, Normen,
Anschauungen, Beziehungen und Verhaltensweisen haben in der
gesellschaftlichen Entwicklung eine relative Selbstständigkeit. Die
Macht der Gewohnheit und die Kraft der Tradition können moralische
Normen und Anschauungen über lange Zeit hin lebendig erhalten, selbst
wenn die objektiven sozialökonomischen und politischen Grundlagen, aus
denen sie hervorgegangen sind, sich wesentlich verändert haben oder
völlig verschwunden sind.
Die letztlich bestimmende
Grundlage der moralischen Werte, Normen, Anschauungen, Beziehungen und
Verhaltensweisen sind die ökonomischen Verhältnisse und Bedürfnisse der
Gesellschaft. Sie bestimmen den Inhalt und die Entwicklungsrichtung der
moralischen Werte und Normen, jedoch weitergehend vermittelt über die
Interessen der Klassen und die Politik. Die Ethik war stets besonders
eng mit der Politik der jeweiligen Klassen verbunden und diente immer
ihnen vor allem als ideologische Waffe zur Durchsetzung ihrer
politischen und ökonomischen Ziele. Das gilt auch für die sozialistische
Gesellschaft.
Die
marxistisch-leninistische Ethik ist in zwei Teilbereiche gegliedert. Der
erste Bereich umfasst ihre wesentlichen philosophisch-theoretischen
Probleme, wie Wesen und Funktion der Moral, Struktur des
gesellschaftlichen und des individuellen Moralbewusstseins,
Persönlichkeit und Gemeinschaft als sittliche Werte, das Verhältnis von
Determinismus und Freiheit der Entscheidung, Funktion und Struktur
moralischer Wertungen, das Verhältnis von Tatsachen und Werturteilen,
das Wesen und die Rolle der moralischen Grundbegriffe sowie die Spezifik
der Kategorien der Ethik als Wissenschaft. Der zweite Bereich umfasst
die spezifisch normativen Teile der Ethik, d. h. jene Elemente der
Moralentwicklung und ihrer realen Wirkung, durch die das menschliche
Handeln, Denken und Fühlen unmittelbar Impuls, Gerichtetheit und
praktische Wirkungskraft erhält. Dazu gehören inhaltliche Orientierung
über Gut und Böse, über Verantwortung und Pflicht, Ehre, Gewissen sowie
andere moralische Grundbegriffe. Weiterhin sind hier Werte, Prinzipien
und Normen der Moral, wie sie in geschriebenen oder mündlich
überlieferten Moralkodizes bestehen, theoretische Aussagen über die
Tugenden und moralischen Charaktereigenschaften der Persönlichkeit
bezogen.
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