Müntzer, Thomas: (vor
1490 Stolgerg, Harz bis 27.05.1525 bei Mühlhausen) bedeutender
Ideologe der Volksreformation und Führer des revolutionären Flügels
im deutschen Bauernkrieg.
Müntzer wurde als Sohn
eines nicht unvermögenden Handwerkers geboren. Die ersten
gesicherten Lebensdaten Müntzers beziehen sich auf seine
Immatrikulation am 16.10.1506 an der Leipziger Universität und auf
sein Studium in Frankfurt an der Oder 1512. Selbst ob er akademische
Grade erwarb, ist nicht belegt. 1513 finden wir Müntzer als
Kollaborator (Hilfslehrer) in Halle, 1514 als Geistlichen in der
Halberstädter Diözese. 1516-1517 war er Probst im Kloster Frose bei
Aschersleben. Ende 1518 bis Anfang 1519 hielt sich Müntzer
vielleicht in Wittenberg auf, der berühmten Disputation zwischen
Luther und Johann Eck in Leipzig (24.06. - 16.07.1519) wohnte er
zumindest zeitweise bei. Mit umfangreichen theoretischen Studien
beschäftigte er sich während seines Wirkens als Beichtvater im
Nonnenkloster Beuditz bei Weißenfels.
Vor allem Johann Taulers
(1300 – 1361) Auffassung von der aktiven Rolle des Menschen beim
Streben nach Vollkommenheit ist modifiziert in Müntzers Lehre
eingeflossen. Als Prediger in Zwickau (Mai 1520 – April 1521) kam
er in enge Beziehungen zu den Zwickauer Tuchknappen und über sie mit
dem Kreis um Niklas Storch (gest. 1525), der den Anbruch des Reiches
Gottes auf Erden erwartete. Während seines Aufenthaltes in Prag
(1521) entstanden die vier Fassungen des „Prager Manifestes“, die
Entwurf blieben. Darin wendet sich Müntzer gegen Pfaffen, Mönche
und gelehrte Doktoren, die dem Volk das gefälschte Gotteswort
vermitteln, einen „gestohlenen Glauben“. Das Volk strebe hingegen
danach, den direkten Weg zu Gott zu finden, die christliche Kirche in
ihrer ursprünglichen Reinheit wiederhergestellt zu sehen. In den
Fassungen des „Prager Manifestes“, der ersten uns bekannten
zusammenfassenden Darstellung der Auffassungen Müntzers wurde der
Gegensatz zu Luther schon erkennbar und bereitete sich die
Herausbildung der volksreformatorischen Ideologie vor. Nach erneuter
Wanderschaft, Aufenthalten in Nordhausen und Glaucha bei Halle (1522
– 1523) nahm Müntzer im April 1523 seine Tätigkeit als Pfarrer im
sächsischen Allstedt auf. Hier entstand die Mehrzahl seiner
Schriften. In Allstedt konnte er erstmals versuchen, seine über
Luther hinausgehenden Ziele zu verwirklichen. Müntzers endgültiger
Bruch mit der Reformation wird durch seinen Brief an Melanchthon vom
27.03.1522 bezeichnet. Noch suchte er die Obrigkeit für seine Ziele
zu gewinnen, die soziale Problematik trat hinter der Aufgabe der
Erziehung des Volkes zurück, das er für die innere Erleuchtung und
den Empfang des göttlichen Geistes reif machen wollte. Denn ohne
Umerziehung der Menschen gebe es keine Herrschaft Christi und keinen
Sturz der Tyrannen. Zur Erreichung seines Zieles schuf Müntzer das
„Christliche Verbündnis“, eine Organisation zur Vorbereitung und
Verteilung seiner Lehren. In der Schrift „Von dem gedichteten
Glauben“ (gedruckt Anfang 1524) stellt Müntzer seine
theologisch-philosophische Auffassung systematisch dar und grenzt sie
von der Theorie der Wittenberger ab. Das geschah noch ausführlicher
in der „Protestation oder Entbindung“ (gedruckt 1524). Im Laufe
des Jahres 1524 radikalisierten sich Müntzers Auffassungen sehr
schnell. Die „Fürstenpredigt“ vom 13.07.1524 (gedruckt 1524) war
sein letzter Versuch, die der Reformation anhängenden
ernestinisch-sächsischen Fürsten für seine Ziele zu gewinnen. Hier
verkündete Müntzer, dass die bestehende Ordnung auf Gewalt, Betrug
und Irreführung beruht, auf dem Bund der Gottlosigkeit, der
geistlichen und weltlichen Fürsten, die den „gemeinen Mann“
unterdrücken und berauben. Für Müntzer herrscht in Staat und
Kirche der Antichrist, dessen Abwehr Aufgabe der von Gott Erwählten
sei. Die christliche Obrigkeit solle das Schwert zur Vernichtung der
Gottlosen gebrauchen. Weigerten sich die Fürsten, so sei das Volk
von Gott auserwählt und verpflichtet, das Schwert und die Macht zu
ergreifen. In der „Fürstenpredigt“ wurde das Widerstandsrecht
des Volkes erstmals in der deutschen Reformation klar formuliert.
Erstmalig war der Weg zur Weiterführung der Reformation durch das
Volk theoretisch begründet worden, der nicht nur zu kirchlichen,
sondern auch zu Veränderungen im staatlichen und politischen Bereich
führen sollte. Müntzers Forderungen wurden von den Herrschenden
nicht akzeptiert, er musste aus Allstedt fliehen und ging im August
1524 nach Mühlhausen. Hier reifte sein theoretisches Programm der
Volksreformation unter relativ günstigen politisch-sozialen
Bedingungen aus. Er erkannte die Rolle der Bauern. Seine
Hauptschriften „Ausgedrückte Entblößung des falschen Glaubens“
und „Hochverursachte Schutzrede“ (bei der Drucklegung in Nürnberg
im November/Dezember 1524 z. T. Beschlagnahmt) sind Aufrufe zur
revolutionären Aktion. Kernstück von Müntzers Programm der
Volksreformation ist die Lehre vom Widerstandsrecht gegen die
gottlose Obrigkeit und von der Schaffung einer revolutionären
Gewalt. Da die Obrigkeit ihrer von Gott bestimmten Aufgabe, die
Frommen zu schützen und die Gottlosen zu strafen, nicht nachkommen,
sei das Volk aufgerufen, die Gottlosen – Fürsten, Adel und Pfaffen
– zu entmachten. Die Gewalt des Schwertes, die der Obrigkeit
verliehen ist, fällt an das gemeine Volk. Müntzers Programm lautet:
Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit durch die Herstellung
allgemeiner Gleichheit. Voraussetzung dafür war vor allem die
Beseitigung der Armut, die den gemeinen Mann daran hinderte, die
Wahrheit zu erkennen. In der Unbildung des Volkes sah Müntzer das
größte Hindernis für seine Befreiung. Der Kampf der Volksmassen
für ihre materiellen Interessen, der Kampf der Bauern um freie
Nutzung des Bodens und Rückgabe der Allmende bezeichnete für
Müntzer den Beginn des Ringens um eine gerechte
Gesellschaftsordnung. Durch den Kampf der Volksmassen sollte
verwirklicht werden, was Müntzer als Reich Gottes auf Erden ansah.
Was dieses Programm von allen vorausgegangenen, auch von dem der
tschechischen Hussitenbewegung unterscheidet, ist die Verbindung von
Vorstellungen einer idealen Gesellschaftsordnung der Gerechtigkeit
und des Gemeinwohls mit den tatsächlichen Interessen bestimmter
sozialer Gruppen und Schichten, besonders der Plebejer und Bauern.
Nach seiner Ausweisung aus Mühlhausen (Ende August 1524) hielt sich
Müntzer u. a. in Nürnberg, am Oberrhein und in Basel auf.
Theoretischer Kern seiner in Nürnberg gedruckten „Hochverursachten
Schutzrede“ ist die Auseinandersetzung mit Luthers
Rechtfertigungslehre, die er als Gnade für die Herrschenden und
Besitzenden und als Gesetz, Zwang und Strafe für die Besitzlosen, d.
h. als Stütze der bestehenden ungerechten Gesellschaftsordnung,
bezeichnet.
Die Radikalisierung der
Bauernbewegung im Schwarzwald Ende 1524 und Anfang 1525 steht
offenbar mit Müntzers Wirken in Zusammenhang. Mitte Februar 1524
kehrt dieser nach Mühlhausen zurück. Hier wurde unter Führung des
„Ewigen Rates“, eines Kompromisses zwischen den an die Macht
gelangten verschiedenen Schichten des Bürgertums, und unter aktiver
Mitwirkung Müntzers dessen Forderung nach Aufteilung des kirchlichen
Besitzes an die Stadtarmut verwirklicht. In Thüringen war es
gelungen, die Mehrheit der Bauernhaufen beim 1525 auch hier
ausbrechenden Bauernkrieg auf das Programm der Volksreformation
Müntzers festzulegen. Mit der Erhebung in Thüringen übernahmen
seine Anhänger die Führung; Müntzers Programm verschmolz hier mit
dem Bauernkrieg. Seine zentrale Forderung war die Übernahme der
politischen Macht durch das Volk als wichtigste Voraussetzung für
grundlegende gesellschaftliche Umgestaltungen. Jeder Kompromiss mit
den feudalen und patrizialen Obrigkeiten wurde jetzt abgelehnt. Indem
Müntzer als Ziel des Aufstandes die Abschaffung der sozialen
Unterschiede zwischen den Menschen und die Errichtung einer von
Ausbeutung freien Ordnung proklamierte, wies er weit über das damals
Mögliche hinaus. Als die Gegenmaßnahmen der Fürsten einsetzten,
gelang es Müntzer nicht die in ihren, die in ihren jeweiligen
territorialen Interessen befangenen Aufständischen zu einem
geschlossenen Handeln zu bewegen. In der Schlacht zu Frankenhausen
(17.05.1525) wurde Müntzer gefangengenommen, gefoltert und am
27.05,1525 hingerichtet. Das in der Haft angefertigte „Bekenntnis“,
eigentlich ein Verhörprotokoll, bezeugt das Müntzer auch jetzt sein
Wirken mannhaft verteidigte.
Müntzers Ideologie
bringt in theologischem Gewand das soziale und politische Programm
der Volksreformation. Seine theoretischen Quellen sind vor allem die
Bibel und dabei besonders das Alte Testament, Auffassungen der
Kirchenväter, hussitische Lehren, Ideen des jungen Luther, die
deutsche Mystik (Johann Tauler, Heinrich Seuse) und Gedankengänge
des Humanismus.
Müntzers dem Pantheismus
vielfach nahekommende Theologie basiert vor allem auf drei
Bestandteile: 1. der Lehre vom Geist als der ständigen, an keine
Schranken gebundenen göttlichen Offenbarung, die sich nicht allein
der biblischen Schriften bedient hat, sondern sich ständig in der
inneren Stimme des Menschen enthüllt; 2. der Lehre vom Kreuz als der
Läuterung des Menschen durch das Leid, das erforderlich ist, um zu
einem „bewährten“ Glauben, zu seiner Gewissheit zu kommen. Dabei
sind es die Armen, die das Kreuz tragen und sich damit für den
Empfang des Geistes bereit machen; 3. der Lehre vom Schwert oder von
der Obrigkeit, bestehend im Widerstandsrecht gegen die gottlosen
Herren, in der Pflicht, der Obrigkeit zu widerstehen, ihr das Schwert
zu nehmen, in der Berufung der Armen und Unterdrückten zur Führung
des Schwertes, zur Übernahme der Gewalt.
Müntzer unterschied
„Auserwählte“ und „Verdammte“. Der Geisterglauben vereint
die „Auserwählten“; sie können gott- bzw. christförmig werden.
Die „Verdammten“, vor allem die Herrschenden und Besitzenden,
werden durch ihre Begierden, ihr Streben nach Reichtum, Wohlleben und
Titel daran gehindert, sich dem lebendigen Geist Gottes
aufzuschließen. Geist, Schrift und Erfahrung gehören zusammen.
Müntzer fordert Predigt des Gotteswortes in der Landessprache,
Durchsetzung des Rechtes freier Predigt und freien Predigthöhrens
unabhängig von territorialen Grenzen und taktisch-politischen
Erwägungen der Obrigkeit, Abbau der Standesschranken, die die
Verwirklichung urchristlicher Brüderlichkeit unmöglich machten.
Müntzer unterscheidet inneres Wort und äußeres Wort (Bibelglaube),
wobei dem inneren und damit der Subjektivierung der Religion der
absolute Vorrang gebührt. Ort des Glaubens und einziges Kriterium
seiner Wahrheit sei das menschliche Herz, das Individuum. Müntzers
häufige Berufung auf die Bibel steht dem nicht entgegen. Letztlich
identifiziert Müntzer Gott und Welt, jedenfalls bei den
„Auserwählten“. Gott ist nach Müntzer das Ganze, aber sein
Wille besteht darin, dass alle „Schöpfungen“ als Teil des
Weltganzen zu wirken haben.
Müntzers Ideen sind
Bestandteil der Auffassungen der Volksopposition in Deutschland bis
zum Ende des 17. Jh., vor allem die Lehre vom Vorrang des inneren
Wortes vor dem äußeren Wort, womit die Überflüssigkeit der
Feudalkirche begründet wurde.
...
Quelle:
Philosophenlexikon, Dietz Verlag Berlin 1987, 4. Auflage, Seiten 679
– 684.
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