Friedrich Engels
„Einleitung [zur englischen Ausgabe (1892) „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“]“ MEW Band 19, Seite 533 -534 und Seite 537. Aber auch
hier nachzulesen, etwa in der Mitte des Textes.
Der große Kampf des europäischen Bürgertums gegen den Feudalismus kulminierte in drei großen Entscheidungsschlachten.
Die erste war das, was wir die Reformation in
Deutschland nennen. Dem Ruf Luthers zur Rebellion gegen die Kirche
antworteten zwei politische Aufstände: zuerst der des niedern Adels
unter Franz von Sickingen 1523, dann der große Bauernkrieg 1525. Beide
wurden erdrückt, hauptsächlich infolge der Unentschlossenheit der
meistbeteiligten Partei, der Städtebürger- eine Unentschlossenheit,
deren Ursachen wir hier nicht untersuchen können. Von dem Augenblick an
entartete der Kampf in einen Krakeel zwischen den Einzelfürsten und der
kaiserlichen Zentralgewalt und hatte zur Folge, daß Deutschland für 200
Jahre aus der Reihe der politisch tätigen Nationen Europas gestrichen
wurde. Die lutherische Reformation brachte es allerdings zu einer neuen
Religion – und zwar zu einer solchen, wie die absolute Monarchie sie
grade brauchte. Kaum hatten die nordostdeutschen Bauern das Luthertum
angenommen, so wurden sie auch von freien Männern zu Leibeignen
degradiert.
Aber wo Luther
fehlschlug, da siegte Calvin. Sein Dogma war den kühnsten der damaligen
Bürger angepaßt. Seine Gnadenwahl war der religiöse Ausdruck der
Tatsache, daß in der Handelswelt der Konkurrenz Erfolg oder Bankrott
nicht abhängt von der Tätigkeit oder dem Geschick des einzelnen, sondern
von Umständen, die von ihm unabhängig sind. “So liegt es nicht an
jemandes Wollen oder Laufen, sondern am Erbarmen” überlegner, aber
unbekannter ökonomischer Mächte. Und dies war ganz besonders wahr zu
einer Zeit ökonomischer Umwälzung, wo alle alten Handelswege und
Handelszentren durch neue verdrängt, wo Amerika und Indien der Welt
eröffnet wurden und wo selbst die altehrwürdigsten ökonomischen
Glaubensartikel – die Werte des Goldes und Silbers – ins Wanken und
Krachen gerieten. Dazu war Calvins Kirchenverfassung durchweg
demokratisch und republikanisch; wo aber das Reich Gottes
republikanisiert war, konnten da die Reiche dieser Welt Königen,
Bischöfen und Feudalherrn Untertan bleiben? Wurde das deutsche Luthertum
ein gefügiges Werkzeug in den Händen deutscher Kleinfürsten, so
gründete der Calvinismus eine Republik in Holland und starke
republikanische Parteien in England und namentlich in Schottland.
Im Calvinismus fand die zweite große Erhebung des
Bürgertums ihre Kampftheorie fertig vor. Diese Erhebung fand statt in
England. Das Bürgertum der Städte setzte sie in Gang, und die
Mittelbauern (yeomanry) der Landdistrikte erkämpften den Sieg. Es ist
sonderbar genug: In allen den drei großen bürgerlichen Revolutionen
liefern die Bauern die Armee zum Schlagen, und die Bauern sind grade die
Klasse, die nach erfochtnem Sieg durch die ökonomischen Folgen dieses
Siegs am sichersten ruiniert wird.
…
Die große französische
Revolution war die dritte Erhebung der Bourgeoisie, aber die erste, die
den religiösen Mantel gänzlich abgeworfen hatte und auf unverhüllt
politischem Boden ausgekämpft wurde. Sie war aber auch die erste, die
wirklich ausgekämpft wurde bis zur Vernichtung des einen Kombattanten,
der Aristokratie, und zum vollständigen Sieg des andern, der
Bourgeoisie. In England fanden die ununterbrochene Kontinuität der
vorrevolutionären und nachrevolutionären Institutionen und der Kompromiß
zwischen Großgrundbesitzern und Kapitalisten ihren Ausdruck in der
Kontinuität der gerichtlichen Präzedenzfälle wie in der respektvollen
Beibehaltung der feudalen Gesetzesformen. In Frankreich machte die
Revolution einen vollständigen Bruch mit den Traditionen der
Vergangenheit, fegte die letzten Spuren des Feudalismus weg und schuf im
Code civil eine meisterhafte Anpassung, an modern kapitalistische
Verhältnisse, des alten römischen Rechts – jenes fast vollkommenen
Ausdrucks der juristischen Beziehungen, die aus der von Marx als
“Warenproduktion” bezeichneten ökonomischen Entwicklungsstufe
entspringen; so meisterhaft, daß dies revolutionäre französische
Gesetzbuch noch heute in allen andern Ländern – England nicht
ausgenommen – als Muster dient bei Reformen des Eigentumsrechts.
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