Zitat:

Es setzt sich nur so viel Wahrheit durch, als wir durchsetzen; der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein. - Bertold Brecht, „Leben des Galilei“

Zitat:

Bedrohlich ist das Volk für die Herrschenden, wenn es ohne Furcht ist.“ -Tacitus (römischer Historiker)

Zitat:

Die Furcht vor Übervölkerung tritt stets in Perioden auf, in denen der bestehende Sozialzustand im Zerfall begriffen ist. August Bebel

Sonntag, 1. September 2013

Sprechende Häuser in Quedlinburg, die Aegidiikirche


„Wenn die Häuser sprechen lernen“ ist es Menschen Werk, wie die Häuser selbst ein Produkt menschlicher Tat sind, gelegentlich mit Spuren vieler Generationen, welche Häuser immer ihren Bedürfnissen angepasst haben. Die MZ berichtet über ein solches Vorhaben in Quedlinburg, die ersten Texte sind gesprochen zu finden, allein ich suchte im Internet, mein Handy taugt „nur“ zum telefonieren.
Warum suchte ich im Internet, weil darüber berichtet wurde? Nein, sondern weil ich hören wollte, was aus einem Text geworden ist, welchen ich zur Aegidiikirche in Quedlinburg geschrieben hatte. Ich wurde fündig und musste feststellen, dass der gesprochene Text nicht in jedem Punkt dem Original entsprach. Am Ende endet der Text abrupt, war wahrscheinlich für den zur Verfügung stehenden Speicherplatz etwas zu lang. Sicher hätte er auch besser gelesen werden können. Schade auch, dass es nur ein allgemeines Bild von Quedlinburg hinter dem Text gibt. Dem Zweck, sich mittels moderner Technik mit Gebäuden in Quedlinburg zu beschäftigen, wäre mit einer Bilderfolge vom Objekt sicher besser gedient. Eine qualifizierte Führung sollten solche Aktionen allerdings nicht ersetzen. Übrigens wäre ich auch bereit gewesen, den Text noch einmal zu überarbeiten und auf eine entsprechende Länge zu „stutzen“. Hier nun der ursprüngliche Text:  
„Sprechende Häuser

Hallo und danke, für das Interesse an meinem Sein.

Ich bin die Aegidiikirche, die nördlichste der Quedlinburger Stadtkirchen und blicke auf eine lange Geschichte zurück.
Wie alt ich genau bin, … kann ich nicht sagen, ich erinnere mich nicht und wie es der Menschen Art ist, glauben sie dem geschrieben Wort mehr, als dem gesprochenen. Und so wurde ich im Jahre 1179 erstmalig in einer Urkunde erwähnt. Nichts desto trotz gab es mich zu diesem Zeitpunkt schon und das Gebiet, in welchem ich mich befinde, ist eines der ältesten Siedlungsgebiete auf dem Gebiet der heutigen Altstadt. Hier lebten schon Menschen, als Heinrich I. oft in Quedlinburg weilte und wahrscheinlich schon wesentlich früher.
Wie viele Kirchen meines Alters, habe auch ich klein angefangen. Genau erinnern kann ich mich daran allerdings nicht mehr, es ist einfach zu lange her und wer hat schon genaue Erinnerungen aus seiner frühen Kindheit, wenn diese nicht jemand anders bewahrt hat? So war ich vielleicht einmal eine kleine Kapelle, welche sich zu einem Dorfkirchlein mauserte, aber lange noch nicht über die heutige Größe verfügte.
Heute bin ich eine spätgotische Hallenkirche mit frühgotischem Chor, einem frühgotischem südlichem Querhaus, frühgotischem Westwerk, barocken Rundbögen, sowie einem barocken Tonnengewölbe. Die Grundlage meiner Dachkonstruktion ist übrigens einer der größten Ständerbauten Quedlinburgs, aus der Zeit um 1467.
Eine dreischiffige Basilika war ich, als ich im dreizehnten Jahrhundert ein sehr mächtiges Westwerk erhielt, welches heute weitestgehend noch erhalten ist. Dieses Westwerk war für mich damals viel zu groß, ähnlich wie bei meiner Schwester der Marktkirche.
Und doch unterscheidet uns einiges, nicht nur dass ich bis Ende des 13 Jahrhunderts noch vor den Toren der Stadt Quedlinburg stand.
Mein Westwerk bot den Menschen der hiesigen Siedlung auch Schutz vor Übergriffen. Das kann heute noch gut erkannt werden, wenn mein Westwerk von außen und innen in Augenschein genommen wird. Der Grundriss meiner Türme ist übrigens größer als der der Türme der Marktkirche, aber auch die Turmwände sind dicker. Die Obergeschosse des Westwerkes konnten einst gut gesichert werden. So führt von der zweiten in die dritte Etage nur eine Wendeltreppe, welche sich komplett in der südlichen Außenwand befindet. Wie in der ersten Turmetage, finden sich auch in der zweiten Turmetage frühgotische Kreuzgewölbe.
Ja, ich bin eine interessante Kirche, in welcher viele Generationen über Jahrhunderte ihre Spuren hinterlassen haben. Wobei nicht nur meine bauliche Hülle von so manchem Wandel im praktischen und geistigen Leben der Menschen in den verschiedensten Zeiten zeugt, sondern auch die Einrichtung.
So findet sich seit 1700 in mir der älteste Flügelaltar der Stadt Quedlinburg, er wurde um 1430/40 für die Marktkirche geschaffen und kam hierher als diese einen neuen barocken Hochaltar erhielt. Das Viertel, in dem ich zu finden bin und welches nicht unbedingt auf den üblichen Touristenwegen liegt, war früher ein armes Viertel. Dieses führte dazu, dass die Menschen sorgsam mit meiner Einrichtung umgingen, diese pflegten und erhielten. So finden sich neben einer reichgeschnitzten, von einer Moses-Figur getragenen, Barockkanzel aus der Zeit um 1600, ein Kirchengestühl, welches von den verschiedensten Besuchern bestaunt, im Jahre 1632 schon stand und 1712 durch Priechen ergänzt wurde.

Zu Beginn des 18 Jahrhunderts wurde mein Mittelschiff vom Altarraum durch eine Chorschranke mit Lesepult abgetrennt und Ende des 19 Jahrhunderts wurde ich restauriert und renoviert. Bis 1978 war ich Gemeindekirche und seit einigen Jahren kümmert sich ein Förderkreis um mein Wohlbefinden und erfüllt meine alten Räume mit neuem Leben. Anfänglich wurde aufgeräumt, alte Gerüste entfernt, sowie für Besucher von März bis Oktober am Samstagnachmittag geöffnet, 2012 wurde die Glockenanlage überholt und 2013 die Arbeiten an der Orgel beendet.
Ja, ich habe einiges erlebt und kann viele Geschichten erzählen, so auch von der großen Glocke in meinem Südturm. Der Nordturm wurde nach einem Brand nicht wieder aufgebaut und so kann ich heute nur noch mit einem Turm aufwarten, welcher in den oberen Etagen allerdings auch nicht mehr im Original erhalten ist. Auch er wurde einst Opfer der Flammen. Wie weit der Turm abgenommen wurde, um ihn in der jetzigen Form wieder zu errichten, ist gut von außen zuerkennen. Dazu braucht nur auf die Größe der verwendeten Sandsteine geachtet werden.
Übrigens findet sich im unteren Turmzimmer, von welchem heute die große Glocke zu läuten ist, eine Steinzange aus der Zeit der Gotik, mit welcher die großen Sandsteinquader nach oben gezogen wurden.
Die große Glocke im Turm wurde zum Ende des zweiten Weltkrieges zum einschmelzen entfernt, wozu es glücklicherweise nicht gekommen ist, woraufhin sie in meinen Turm zurückkehren konnte. Es ist die tontiefste Glocke der Stadt, der Bronzeguss stammt aus dem Jahre 1766 und kann jeden Samstag um 18:00Uhr durch Interessierte, unter Anleitung, geläutet werden.  
Jetzt habe ich aber genug erzählt.
Wenn die Tür offen steht und Ihr Interesse habt, mich näher kennen zulernen, kommt ruhig herein, es gibt noch mehr als das Erwähnte zu entdecken. Wenn nicht, im Schaukasten neben der Tür gibt es auch dazu Informationen. Meine Unterstützer sind gern bereit Euch zu führen und Fragen zu beantworten.
Also, wenn die Tür verschlossen ist, schaut mich von außen an, es gibt viele Spuren zu entdecken und nicht nur zugemauerte frühgotische Fenster. Geht ruhig auf meinen ehemaligen Friedhof an der Nordseite, es sind die unterschiedlichsten Grabmahle aus verschieden Jahrhunderten zu finden, darunter eine fast 2 Meter hohe Eisengussurne aus dem Jahre 1824.
Aber nun Schluss, eine so alte Kirche wie ich kann auch etwas Ruhe vertragen, dabei ist es angenehm zu spüren, wie mein Förderkreis meine alten Mauern mit neuem Leben erfüllt und dadurch zu meinem Erhalt beiträgt.“

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