Zitat:

Es setzt sich nur so viel Wahrheit durch, als wir durchsetzen; der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein. - Bertold Brecht, „Leben des Galilei“

Zitat:

Bedrohlich ist das Volk für die Herrschenden, wenn es ohne Furcht ist.“ -Tacitus (römischer Historiker)

Zitat:

Die Furcht vor Übervölkerung tritt stets in Perioden auf, in denen der bestehende Sozialzustand im Zerfall begriffen ist. August Bebel

Donnerstag, 28. November 2013

Es war einmal eine Ausstellung …

Eine interessante aber halbherzige Ausstellung zur Genitalverstümmelung junger Menschen fand sich vom 10. – 20.11.2013 in der Nikolaikirche in Quedlinburg. In der Ausstellung finden sich Aussagen zum Thema rituelle Verstümmelung. Wie heute leider oft üblich wird das Problem aber einseitig angesprochen. Die Ausstellung beschäftigt sich mit dem Thema Beschneidung, beschränkt sich aber auf Formen der Anwendung dieses Rituals bei jungen Mädchen und Frauen, vorwiegend im afrikanischen Raum. Genitalverstümmelung bei kleinen Kindern männlichen Geschlechts, wie sie von bestimmten Religionsgemeinschaften auch hierzulande praktiziert werden, findet nicht einmal Erwähnung.
Im Rahmen der Ausstellung wird sich auch mit Argumenten der Beschneidungsbefürworter auseinandergesetzt. In der Ausstellung gegen das Beschneiden von jungen Mädchen verwendet, werden sie unter Umständen in unserem Kulturkreis von Religionsgemeinschaften gebraucht, um das Beschneiden von Knaben zu rechtfertigen. Ein Unterschied in der Praktizierung dieses Rituals besteht nicht in der Verstümmelung selbst, diese unterscheidet sind ehr gradual und geschlechtsspezifisch, als vielmehr im Zeitpunkt der Ausführung. So werden Knaben in der Regel im Kleinkindalter beschnitten, was dazu führt, das sie später keine direkten Erinnerungen mehr haben. Die Beschneidung von Mädchen hingegen erfolgt biologisch bedingt in einem Alter, wo das Erinnerungsvermögen ausgeprägt ist und so besonders die psychischen Probleme mit in den Vordergrund treten. Sicher können die physischen Probleme, auf Grund der Anatomie und der Art der Beschneidung bei Frauen gravierender sein als bei Männern. Beispiele das Beschneidungen sogar tödlich enden können, sind hingegen von beiden Geschlechtern bekannt. 
Interessant das Thema auch im Zuseammenhang mit der Diskussion um ein Kölner Gerichtsurteil zur rituellen Beschneidung vor einiger Zeit. Damals wurde die Angelegenheit zur Chefsache erhoben und die Kanzlerin selbst schaltete sich ein.   
Im Handzettel zur Ausstellung ist unter dem Punkt „Wie wird weibliche Genitalverstümmelung begründet?“ zu lesen: „Die Verstümmelungen werden oft als religiöse und gesellschaftliche Pflicht angesehen. Allerdings verlangt keine heilige Schrift wie der Koran oder die Bibel den Eingriff.“ Auf das weibliche Geschlecht bezogen möge dieses stimmen, nur wenn Genitalverstümmelung allgemein betrachtet wird, schon nicht mehr. So wird in der Bibel im ersten Buch Mose, Genesis, die Beschneidung als Zeichen des Bundes mit Gott dargelegt. Wobei Abram, später Abraham, bei seiner Selbstbeschneidung schon 99 Jahre alt war. Im Koran findet man allerdings keine entsprechende Stelle, wie nicht nur auf der Seite von  Wikipedia zu erfahren ist. Es ist zu lesen: „gegenwärtig sind schätzungsweise zwischen 25 % und 33 % der männlichen Weltbevölkerung beschnitten. Die Beschneidung von gesunden Kindern am achten Lebenstag gilt im Judentum als Gebot Gottes. Der Koran erwähnt sie nicht ausdrücklich. Dennoch ist sie in islamisch geprägten Ländern als Sunna weit verbreitet und wird im Kindes- oder Jugendalter durchgeführt.“
Genitalverstümmelung ist also wesentlich umfangreicher als in der Ausstellung dargestellt und ohne sie im Gesamten zu betrachten, wird auch die Kritik an dieser auf halbem Wege stehen bleiben. Kritisiert wird eine bestimmte Art und Weise der Genitalverstümmelung bei Frauen, in einem Kulturkreis der uns dahingehend fremd ist, dass diese Völker sich auf einem anderen Niveau gesellschaftlicher Entwicklung befinden als wir. Das verleitet leider dazu und dieses kommt in der Ausstellung auch so zum tragen, unsere kulturelle Entwicklung der Entwicklung in den betroffenen Regionen gegenüber zu stellen. So werden hier übliche Maßstäbe angelegt, ohne dortige Befindlichkeiten und Erkenntnisstände zu berücksichtigen. In einem Beispiel wird berichtet, dass eine Frau erst den Umstand der Genitalverstümmelung als unnormal begriffen hat, als sie hierzulande mit anderen Frauen Kontakt hatte und feststellen musste, dass Genitalverstümmelungen bei Frauen in unserem Kulturkreis alles anders als normal sind. Dieser Eindruck wird allerdings nicht dadurch verstärkt, dass Genitalverstümmelung beim männlichen Geschlecht weitestgehend tabuisiert wird. So ist es um das Kölner Urteil zur rituellen Beschneidung von Kleinkindern ruhig geworden und die Politik ist vor einem Ritual, welches seinen Ursprung in der Antike hatte und in feudalen Systemen weiterlebte und lebt, in die Knie gegangen.
Letztlich sind solche, kulturell bedingte und religiös begründete gesellschaftliche Erscheinungen historisch entstanden, sind gesellschaftlichen Bedingungen geschuldet. Solche Rituale, zu welchen Genitalverstümmelungen gehören, sind schwerlich zu bekämpfen in dem sie angeprangert, sondern nur in dem die gesellschaftlichen Ursachen für diese beseitigt werden. Auch hier trifft zu was Marx schon vor über 100 Jahren feststellte: „Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist.“
Die Ausstellung war interessant, weil sie mit einem Problem konfrontierte, welches uns eigentlich aus eigener Erfahrung fremd ist und einer Zeit entspringt, einer kulturellen Entwicklung entstammt, welche in seiner gesellschaftlichen Entwicklung überwunden schien. Ein Problem welches weit entfernt scheint, aber doch sehr nahe ist, genau betrachtet näher als oft gedacht wird, wenn das Problem der Genitalverstümmelung als Ritual und in seinem ganzen Ausmaß gesehen wird. Zu lesen ist im Handzettel, dass „weltweit … 150 Millionen Mädchen und Frauen von weiblicher Genitalverstümmelung … betroffen“ sind, laut Wikipedia sind „schätzungsweise zwischen 25 % und 33 % der männlichen Weltbevölkerung beschnitten“, und das dürften so um die 1 Milliarde sein.

Wie heute oft üblich wird sich auch im Falle dieser Ausstellung mit Symptomen und Auswirkungen auseinandergesetzt, die Ursachen bleiben im Dunkel oder werden nur vage benannt, letztlich wird aber auch dieses Problem nur zu lösen sein, wenn den Ursachen, der dahinter stehenden herrschenden Kultur, den sozialen Verhältnissen, welche Genitalverstümmelung fördern, der Kampf nicht nur angesagt wird!
Der Handzettel ist überschrieben: „Gemeinsam gegen Genitalverstümmelung“, die Unterüberschrift „nein zur Gewalt an Mädchen und Frauen“, wirft berechtigterweise die Frage auf, wie es sich diesbezüglich mit der Gewallt gegen Knaben und Männer in diesem und anderen Zusammenhängen verhält?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen