Zitat:

Es setzt sich nur so viel Wahrheit durch, als wir durchsetzen; der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein. - Bertold Brecht, „Leben des Galilei“

Zitat:

Bedrohlich ist das Volk für die Herrschenden, wenn es ohne Furcht ist.“ -Tacitus (römischer Historiker)

Zitat:

Die Furcht vor Übervölkerung tritt stets in Perioden auf, in denen der bestehende Sozialzustand im Zerfall begriffen ist. August Bebel

Montag, 7. Februar 2011

Tradition

relative stabile, modifikationsfähige, durch eine bestimmte Klasse, Schicht, Gruppe für relativ lange Zeit aus der Vergangenheit übernommene oder wieder belebte Ideen, Symbole und Institutionen, die mittel- oder unmittelbar der Durchsetzung bestimmter Klassen-, Schichten-, Gruppeninteressen dienen. Sie wirken im individuellen wie im Klassenbewusstsein, sind Bestandteil des gesellschaftlichen Bewusstseins überhaupt. Objektive Grundlage für die Schaffung bestimmter Traditionen ist letztlich die gesellschaftliche Praxis. Jede Tradition hat in der Klassengesellschaft im Gefüge der Beziehungen des gesellschaftlichen Bewusstseins einen objektiv bestimmten Platz, dient – bewusst oder unbewusst – der Durchsetzung und Festigung des jeweiligen Klassen-, Schichten-, Gruppenwillens. In diesem Prozess wirkt eine gnoseologische wie eine soziale Komponente.
Es gibt verschiedene Ebenen und Strukturen von Tradition: kulturelle, kulturgeschichtliche, volkskundliche, regionale, nationale und internationalistische Tradition usw. Nationale und Internationale Traditionen bilden eine untrennbare dialektische Einheit, wobei die internationalistischen das übergreifende Element darstellen. Traditionen können spontan entstehen oder bewusst geschaffen werden.
Es gibt Traditionen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, in jeder Wissenschaft. Keine Erscheinung, Institution, kein Gedanke der Vergangenheit kann der Gegenwart und Zukunft als Tradition dienen, wenn sie nicht, von Zeitschranken befreit, im Gesamtzusammenhang historischen Seins gesehen werden. Widersprüche der Vergangenheit sind nicht durchschaubar, Traditionen nicht als solche erkennbar, wenn sie nicht vom Standpunkt der sie untersuchenden, höheren Gesellschaftsformation betrachtet werden.
Es ist also kein Subjektivismus, wenn sich marxistische Traditionsbenutzung dem „Bedürfnis“ der sozialistischen Gesellschaft anpasst. Traditionen besitzen eine gewisse Eigengesetzlichkeit, kommen aber erst ganz zur Entfaltung, wenn bestimmte Institutionen einer Klasse, Schicht, Gruppe sich ihrer bemächtigen. Sie bilden gemeinsam mit Sitten, Bräuchen u. a. die gesellschaftliche Psychologie und gehen weitgehend in die Ideologie und die Wissenschaft ein. Andererseits wirken Ideologie und Wissenschaften auf die Entwicklung von Traditionen ein. Während Traditionen primär Klassencharakter tragen, sind Sitten und Bräuche klassenindifferent, werden aber von bestimmten Klassen und Schichten in ihrem (progressiven oder reaktionären) Interesse genutzt. Das Erbe dient der Förderung, Pflege, Festigung der jeweils im Interesse einer bestimmten Klasse genutzten Tradition bzw. Traditionslinie. Geschichtsbild und Geschichtsbewusstsein stehen in enger Beziehung zur Tradition, sind aber nicht identisch. Traditionen sind zählebig, nicht durch Verbot zu beseitigen und wirken oft bedeutend länger als ihre ursprüngliche Basis. Bei Traditionen ist die Dialektik von Form und Inhalt zu beachten.
K. Marx verweist darauf, dass fest tradierte Beziehungen ein unerlässliches Moment für „gesellschaftliche Festigkeit“, ein Element von „Regel und Ordnung“, zwingend notwendig sind, um gesellschaftliche Entwicklungen von Zufälligkeit und Willkür zu befreien. Reaktionäre Traditionen können in progressive Formen gekleidet werden. Andererseits können progressive Traditionen durchaus in alte Formen gekleidet sein, wobei „alt“ nicht mit „reaktionär“ identisch ist. Tradition und Anerkennung von Leistungen der Vergangenheit sind zu unterscheiden.
Reaktionäre Traditionen wirken hemmend auf die Bewusstseinsbildung und damit auf die gesellschaftliche Entwicklung. Progressive Traditionen dagegen sind eine Triebkraft für das gesellschaftliche Handeln. Dabei ist die Herausbildung neuer Traditionen ein langwieriger und komplizierter Prozess. Auch der ideologische Kampf  um die Bewahrung und schöpferische Verarbeitung der humanistischen Traditionen der Vergangenheit (und entsprechende Ansätze im Spätkapitalismus) ist ein wichtiges Element der geistigen Auseinandersetzung. Der Marxismus-Leninismus wendet sich ebenso gegen jedes anarchistische Verhältnis zu überkommenen Traditionen wie gegen deren Heiligsprechung oder undialektische, totale, nicht über die Negation der Negation vollzogene Übernahme. Das Verhältnis zur Tradition ist dort schöpferisch, wo das Überlieferte in gewandelter Form selbst eine Wandelung erfährt. Das Fortführen großer Traditionen ermöglicht die Schaffung neuer Traditionen. Die heutige imperialistische Literatur und Kunst ist durch eine Absage an die humanistischen Traditionen ihrer eigenen Vergangenheit bzw. deren Verfälschung gekennzeichnet. Generell hängt es vom historischen Niveau der erreichten gesellschaftlichen und künstlerischen Entwicklungen ab, was aus dem großen Schatz an Traditionen in welcher Weise aufgearbeitet wird und wo für die jeweilige Gesellschaftsordnung  die Hauptlinien der Traditionsbeziehungen verlaufen.

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