Petition
an den Deutschen Bundestag:
Verantwortungsloses
Verhalten der Bundesregierung im Syrien-Konflikt
Eine
Petition an den Deutschen Bundestag unter der laufenden Nummer 37867,
die sich gegen das verantwortungslose Verhalten der Bundesregierung
im gegenwärtigen Syrienkonflikt richtet, kann demnächst online
unterstützt werden, sobald sie auf dem „Petitionsforum“ des
Deutschen Bundestags veröffentlicht wird. Sobald die
Veröffentlichung erfolgt ist, werden die Initiatoren zur
Online-Unterstützung aufrufen. Die aktuell zur Unterstützung
eingereichten Petitionen finden sich unter folgender Webadresse:
I
Die
Petition hat folgenden Wortlaut:
„Wir
erheben Beschwerde dagegen, dass der Bundesminister des Äußeren und
andere Bundesbehörden sich unter Bruch des Völkerrechts und des
Deutschen Grundgesetzes in die inneren Angelegenheiten der Arabischen
Republik Syrien einmischen, insbesondere durch die Unterstützung
interner wie externer Feinde der rechtmäßigen syrischen Regierung,
einschließlich bewaffneter Gruppen.
Zum
Sachverhalt weisen wir darauf hin,
•
dass ein
Spionageschiff der Bundesmarine vor der syrischen Küste mit Hilfe
akustischer und optischer Sensoren Informationen sammelt, die an die
bewaffneten Gruppen weitergegeben werden;
•
dass
Saudi-Arabien und Katar, die bewaffnete Gruppen nach Syrien
entsenden, als regionale Militärmächte durch Lieferung deutscher
Panzer gestärkt werden;
•
dass der
Türkei, von der aus die bewaffneten Gruppen ungehindert nach Syrien
einfallen, offiziell Anerkennung und Solidarität zugesichert wird;
•
dass die
nach eigener Auskunft überwiegend aus dem Budget des Kanzleramts
finanzierte Stiftung Wissenschaft und Politik Vertreter syrischer
Oppositionsgruppen nach Berlin eingeladen hat, um über „die Zeit
nach Assad“ zu beraten.
•
dass die
Bundesregierung andere Regierungen zu wirtschaftlichen Sanktionen
gegen Syrien drängt, um das syrische Volk in seiner Widerstandskraft
gegen die Aggression zu schwächen und zur Revolte gegen die
Regierung zu bewegen;
•
dass sich
die deutsche Diplomatie offen weigert, gemeinsam mit den
Sicherheitsratsmitgliedern Russland und China und anderen Ländern
auf eine Lösung des inneren Konflikts durch beiderseitigen (!)
Gewaltverzicht und politische Verständigung hinzuwirken.
Diese
Handlungen von Bundesbehörden
•
stellen
in ihrer Gesamtheit eine völkerrechtliche Aggression dar. Denn nach
der Aggressionsdefinition der Resolution der UN-Generalversammlung
vom 14. Dezember 1974 ist nicht nur „das Entsenden bewaffneter
Banden, Gruppen, Freischärler oder Söldner durch einen Staat oder
in seinem Namen“ als eine völkerrechtliche Aggression zu bewerten
sondern auch eine „wesentliche Beteiligung“, wie sie sich aus dem
gekennzeichneten Sachverhalt ergibt;
•
sie
verstoßen daher gegen das Aggressionsverbot (Art. 2 Abs. 4
UN-Charta) und gegen die Pflicht zu friedlicher Konfliktlösung (Art.
2 Abs. 3 UN-Charta). Sie zeugen von offener Missachtung des Prinzips
der souveränen Gleichheit der Staaten (Art. 2 Abs. 1 UN-Charta) und
des Verbots der Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines
anderen Staates (Art. 2 Abs. 7 UN-Charta).
•
sie
unterminieren somit völkerrechtliche Grundnormen, die nach Art. 25
GG zu den „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ gehören und
„Bestandteil des Bundesrechtes“ sind. Das heißt: „Sie gehen
den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für
die Bewohner des Bundesgebietes“;
•
sie
missachten schließlich auch das fundamentale Bedürfnis des
deutschen Volkes, in Frieden und Sicherheit zu leben, das darin zum
Ausdruck kommt, dass Artikel 26, Abs. 1 GG bestimmt: "Handlungen,
die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das
friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die
Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig.
Sie sind unter Strafe zu stellen."
Die
Petition ist eine Initiative des Deutschen Freidenker-Verbands und
des Frankfurter Solidaritätskomitees für Syrien. Sie wurde am 15.
November 2012 von Sebastian Bahlo eingereicht. Er ist Referent des
Vorstands des Deutschen Freidenker-Verbands für internationale
Fragen und Solidarität. Bahlo ist außerdem neben Salim Tas, dem
Vorsitzenden der Alawitischen Jugend in Deutschland, einer der beiden
Sprecher des Frankfurter Solidaritätskomitees für Syrien. Das
Solidaritätskomitee organisierte am 1. September 2012 in Frankfurt
am Main eine große Demonstration gegen die aggressive äußere
Einmischung in Syrien. Es beteiligten sich bis zu 3000 Menschen
unterschiedlichster politischer, weltanschaulicher oder religiöser
Überzeugungen.
II
Zum
Charakter des Krieges in Syrien ist von besonderem Interesse, was der
syrische Präsident Bashar Al-Assad am 9. November 2012 in einem
Interview mit dem russischen Auslandsfernsehen „Russia Today“
erklärt hat. (Voller Wortlaut auf Deutsch siehe:
Es
handele sich, so Assad, um „eine neue Art von Krieg, Terrorismus
durch Stellvertreter, entweder Syrer die in Syrien leben oder
ausländische Kämpfer, die aus dem Ausland kommen“. Das Problem
sei, dass die Terroristen aus den Städten heraus kämpfen, wo
Zivilisten anwesend sind. Die syrischen Sicherheitskräfte müssten
sich bewusst sein, dass sie Schäden an der Infrastruktur und an der
Zivilbevölkerung vermeiden müssen. Aber sie müssten kämpfen, sie
könnten nicht zulassen, dass die Terroristen töten und zerstören.
Das sei die Schwierigkeit bei dieser Art von Krieg. Und Assad
konstatiert weiter: „Zweitens ist die Unterstützung, die den
Terroristen in jeder Hinsicht, einschließlich Waffen, Geld und
politischer Art geboten wurde, beispiellos.“ Es werde daher „ein
harter Krieg und ein schwieriger Krieg“ werden. Es lasse sich nicht
abschätzen, wann der Krieg beendet sein wird, solange unklar ist,
„wann der Schmuggel von ausländischen Kämpfern aus verschiedenen
Teilen der Welt aufhört, vor allem aus dem nahen Osten und der
islamischen Welt“. Ohne diese Unterstützung der Terroristen vom
Ausland her könnte Syrien „innerhalb von Wochen alles beenden“.
Aber solange die kontinuierliche Versorgung der Terroristen mit
Waffen, Logistik und anderem anhält, werde es ein langfristiger
Krieg. Dieser nüchternen Beschreibung der Lage ist nur hinzuzufügen,
dass schon jetzt völlig klar ist:
1.
Fällt das gegenwärtige Regierungssystem, blüht der syrischen
Nation eben genau jener „arabische Frühling“, der gegen die
Interessen der Völker von den imperialistischen Mächten in Szene
gesetzt worden ist: Das Land würde wie Libyen und vorher Irak und
Afghanistan wehrlos dem geostrategischen Verteilungskampf der
imperialistischen Mächte ausgeliefert werden. Mit Syrien fiele in
der Region das letzte Bollwerk des Säkularismus, der Stabilität und
des Zusammenlebens. Schon jetzt sind Christen, Alawiten,
Tscherkessen, Schiiten, moderate Sunniten und andere durch
terroristische Trupps von Salafisten, Moslembrüdern und Al-Qaeda an
Leib und Leben bedroht. Von der zu erwartenden Destabilisierung der
Region insgesamt ganz zu schweigen.
2.
Hält Syrien dagegen unter der Führung Assads dem Anschlag stand,
bedeutet das erstmals einen erheblichen Rückschlag für die
westliche Strategie der dauernden Kriege, gewaltsamen
Regierungswechsel und neokolonialen Besatzungsregimes.
Nachdem
vor über zwei Jahrzehnten der Untergang der sozialistischen Staaten
Europas die Voraussetzungen für eine nahezu ungebremste
imperialistische Expansion schuf, deutet sich nunmehr im Syrien-Krieg
an, dass dieser Konflikt als Katalysator der Herausbildung eines
neuen multilateralen, multipolaren Gleichgewichts des internationalen
Staatensystems wirken könnte. Das zeigt sich am deutlichsten an der
selbstbewussteren Haltung Russlands und Chinas sowie anderer Staaten.
Verantwortungsbewusste
Politiker vieler Länder erkennen, dass dem maßlosen Vormachtstreben
der Länder des Atlantikblocks Schranken gesetzt werden müssen und
können.
Die
Petition versucht bewusst zu machen, was im Syrien-Konflikt sowohl
für das geschundene Land und die ganze Region als auch auf
weltpolitischer Ebene auf dem Spiele steht.
III
Abschließend
eine Bemerkung zu jenen in der Linken und in der Friedensbewegung,
die mit oppositionellen Gruppierungen in Syrien sympathisieren und
meinen, durch Parteinahme gegen die Regierung Syriens etwas Positives
bewirken zu können.
Mit
der Intensivierung der militärischen Operationen des Westens gegen
Syrien wachsen die Zweifel. Die Gräueltaten der terroristischen
Banden finden inzwischen auch in den Mainstreammedien Beachtung. Auch
in offiziellen Kreisen befürchtet man, dass in einem herbeigebomten
„anderen Syrien“ keine irgendwie modernen oder gar
fortschrittlichen Kräfte sondern Salafisten, Al-Qaeda-Gruppen,
Wahabisten und andere Akteure des reaktionärsten politischen Islam
das Sagen haben würden. Ist es möglich, länger die Augen davor zu
verschließen, dass die Zerrüttung der syrischen Gesellschaft durch
Sanktionen und Bandenterror, die Zerstörung eines funktionierenden
Staatswesens eine "humanitäre Katastrophe" von ungekannten
Ausmaßen wäre? Von der Gefahr für den Weltfrieden ganz zu
schweigen.
Die
Petition, die auf der Einhaltung des Völkerrechts besteht, ist nicht
mit der Bemerkung beiseite zu schieben, dass das Völkerrecht doch
schon so oft gebrochen worden ist. Gerade in der Syrien-Krise tritt
gegenwärtig mit äußerster Klarheit vor Augen, dass die Geltung der
völkerrechtlichen Regeln eine grundlegende Bedeutung für die
menschliche Zivilisation hat.
Und
auch folgendes wird klar: Verwirklicht und gesichert werden die
Normen des Völkerrechts nicht allein durch allgemeine
Rechtsüberzeugung sondern letztlich durch Zwang, der von den Staaten
individuell oder kollektiv ausgeübt wird. Daher leistet ein Staat,
der wie gegenwärtig Syrien gegen Aggressionshandlungen gemäß
seinem „naturgegebenen Recht zur individuellen oder kollektiven
Selbstverteidigung“ (Art. 51 UN-Charta) militärische
Verteidigungsmaßnahmen ergreift, auch einen Beitrag dazu, dem
Völkerrechtsbruch Schranken zu setzen, d.h. den Respekt
völkerrechtlicher Normen zu sichern. Ein solcher Staat hat in dieser
(!) Beziehung unbedingten Anspruch auf internationale Solidarität.
Wer mit einem angegriffenen Staat und seiner Regierung im Sinne des
Rechts der Völker solidarisch ist, handelt grundsätzlich anders als
bürgerliche Regierungen, die oft nach dem Motto verfahren „Der
Feind meines Feindes ist mein Freund“. Ein Paradebeispiel dafür
liefert gegenwärtig die Bundesregierung, die ständig andere Länder
in Sachen Menschenrechte belehrt und gegen Syrien ohne jeden Skrupel
gemeinsame Sache mit den reaktionärsten Despotien wie Katar und
Saudi-Arabien macht. Dieselbe prinzipienlose „Freund-Feind-Logik“
den Befürwortern internationaler Solidarität mit Syrien zu
unterstellen, ist nichts anderes als ein Totschlagargument. Wer es
benutzt, will alle Kräfte, die vom Westen als „Feind“ ausgemacht
sind, als solidaritätsunwürdig diffamieren, will überhaupt, dass
sich fortschrittliche Kräfte von internationaler Solidarität
verabschieden, will vergessen machen, dass internationale Solidarität
auf der Grundlage der Verteidigung des Völkerrechts Ausdruck der
Interessen aller Völker ist, also auch der eigenen Klasse und
Nation, weil, wie gesagt, das zivilisierte Zusammenleben der Völker
von der Wirksamkeit völkerrechtlicher Normen abhängt.
Die
Initiatoren der Petition möchten manchen ihrer Mitstreiter in der
Linken und in der Friedensbewegung Folgendes zu bedenken geben: Muss
die Gestaltung der Politik Syriens nicht allein der syrischen Nation
überlassen bleiben? Ist es moralisch gerechtfertigt und politisch
richtig, dieselben Ziele wie die Interventionsmächte, den „Sturz
Assads“, „ein anderes Syrien“ etc. zu propagieren und zu
legitimieren, auch wenn man meint, damit ganz andere Vorstellungen zu
verbinden? Ist es nicht vielmehr dringend geboten, gegen das
verantwortungslose Verhalten der eigenen Regierung im Syrien-Konflikt
politisch Front zu machen, d.h. konkret von der Bundesregierung zu
fordern, die Normen des Völkerrechts einzuhalten und die aggressive
Einmischung in Syrien zu beenden?
Mit
freundlichen Grüßen
Deutscher
Freidenker-Verband e.V.
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