Einen Text habe ich erhalten, es geht um die
Demonstration am 1.8. in Berlin, je nachdem aus welcher Richtung die
Berichterstattung, wurde von 20 Tausend bis 1,3 Millionen Teilnehmern
berichtet. Da ich selbst nicht dagewesen, aber einiges gelesen, wird
die Zahl der Teilnehmer sicher irgendwo dazwischen zu finden sein.
Die Berichterstattung ist kontrovers und vor allem von der
sogenannten öffentlichen Seite, also von den Hauptstrommedien, wird
in der Regel verurteilt und verunglimpft. Dazu wird zu einfachen
Schemen gegriffen und dem heute in unserer Gesellschaft weit
verbreiteten
Irrationalismus
Wasser auf die Mühlen gegeben. Das dieses allerdings keine
Einseitige Angelegenheit ist, kann folgendem sehr interessanten
Beitrag von Klaus Linder entnommen werden:
"Sowohl "Demonstranten" als auch
"Gegendemonstranten" am 1.8. in Berlin bestätigen, dass
der bürgerliche Irrationalismus nicht "freischwebend"
bleiben kann, sondern zur Form der Religion drängt - mit allen
Merkmalen des Fanatismus, des Messianismus, der gnadenlosen
Denunziation der Ungläubigen."
Georg Lukács saß dem Nietzsche auf, dessen
antichristliche Verlautbarungen er für bare Münze nahm, indem er
meinte, die Nazi-Propaganda als einen "a-religiösen
Irrationalismus" analysieren zu können. Da irrte er gewaltig,
er irrte sogar über die tatsächliche Rolle der Kirchen im „Dritten
Reich“.
Am 1. 8. standen sich zwei Lager gegenüber, die man
nur als Einheit eines Spaltungsprozesses innerhalb der in die Krise
stürzenden kleinbürgerlichen Schichten
verstehen kann. Die Frage, ob man noch eine der "Bewegungen"
gegen die andere unterstützen solle, ist hier falsch.
Beide
Abteilungen bringen nur eins zum Ausdruck: die Negation einer
wissenschaftlichen Weltanschauung; über diesem Vakuum saugen sie
sich gegenseitig an wie Magdeburger Halbkugeln.
Beide halten sich ihren eigenen Vorstellungen nach
für Opposition gegen die herrschende Tendenz der deutschen
Gesellschaft.
Das muss man den "Omas gegen Rechts" ebenso zugestehen wie
den im gleichen Sinne engagierten Gewerkschaftern auf der einen
Seite. "Opposition"
glaubten sich natürlich auch jene, die auf der anderen Seite dem
religiösen "Weckruf" im Glauben folgten, sie könnten das
Motto eines Nazi-Propagandastreifens - "Tag der Freiheit" -
auf den Straßen Großberlins ("17. Juni" war der passende
Straßenname) auch nur eine Minute aus der Fantasie in die
„demokratische“ Wirklichkeit holen.
Auf ihrer Seite der Spaltung bringt es nicht
weiter, die Sache mit religionssoziologischen Differenzierungen
analytisch meistern zu wollen. Ob die dort vertretenen zahllosen
esoterischen Spinnereien, die das Kleinbürgertum im Abstieg
begleiten ("Meditieren für das Grundgesetz"), die
"zen-buddhistischen" und "lamaistischen"
Orakelsprüche mit denen sie ihre Reden spickten, ob der politisch
frustrierte, zum Mißerfolg aufgrund eigenen Widerspruchs verdammte
Parteigründer Dr. Schiffmann mit der versammelten Gemeinde "das
Vaterunser" betete, oder ob sie sich einfach mit wachsender
Inbrunst dem Personenkult für ihre jeweiligen Versammlungsleitungen
hingeben - zu Recht machen sie selber da keine konfessionellen
Unterschiede mehr. Es geht um eine Form des gesellschaftlichen
Bewusstseins,
die Religion als solche als "Antwort" auf ihre Lage. Selbst
die nur vom Hörensagen im Innern der Menschenmenge weitergereichte,
der Evidenz deutlich widersprechende Behauptung, sie seien "1,3
Millionen" gewesen, wurde schon am nächsten Tag zum ungeprüft
verfochtenen Glaubenssatz, zum Gründungsmythos des „Tag 1“ einer
„neuen Zeitrechnung“. Womit wir innerhalb kurzer Zeit bei der
nächsten chiliastischen Variante seit den Klimaapokalyptikern wären.
Beide Abteilungen hielten sich für
gesellschaftliche Opposition und opponierten
doch nur gegeneinander. Beide, als gesellschaftlich ohnmächtigste
Schichten des Kleinbürgertums,
deren Grunderfahrung es ist, dass sie sich tatsächlich nur von
Gnaden einer anderen Klasse erhalten können, bringen mit ihrem
Glauben nichts zum Ausdruck als die herrschende Tendenz selber.
Man
könnte ihren Geisteszustand, zur ersten Orientierung, als
konterrevolutionären
Messianismus bezeichnen. Das Bild erweitert sich nicht, sondern nur
die Zahl ihrer inneren Spaltungslinien wird erhöht, wenn wir die
Teile jener Schichten noch hinzunehmen, die bei BLM, FFF, XR mittun
und was da sonst noch kommen mag. Symbole wie „Hygieneregeln“
reichen nicht aus, um echte Gegensätze zu begründen. Da nicht die
soziale Basis sondern nur die Zahl der inneren Spaltungen größer
wird, sind Begriffe wie "Protest" und "Aktion"
bereits Elemente des religiösen Messianismus, dem keine aktive
Bewegung in der gesellschaftlichen Wirklichkeit entspricht.
Durch
die Aufrechterhaltung ihrer Spaltungen (gegen die Arbeiterbewegung)
sind sie Speerspitzen der Finanzbourgeoisie. Sie waren es zu Zeiten
der längst vergangenen "Prosperität", als das
Warenangebot noch weitgehend in ihrer Reichweite schien, sie sind es
jetzt noch, da die allgemeine Krise sie auf den Grund spült. Sie
sind zunehmend abgebrochene Speerspitzen; das sollte auch vor der
Illusion warnen, man könne sie mit ihrer Ideologie derzeit "abholen
wo sie stehen". Sie stehen nicht, sondern sie fallen, und zwar
schnell.
Wenn sie aufeinandertrafen, taten sie am 1.8. nur
eines: sich ohne jede Dialogmöglichkeit gegenseitig Stirn an Stirn
zuschreien, sie seien Nazis, Faschisten (der jeweils andere als der
„wahre Nazi“; drunter macht man es im imperialistischen
Deutschland nicht mehr). Die Maskenträger mit den geschwollenen
Adern einer ANTI-Ideologie; die Maskenverweigerer verdeckten ihre
ebenso geschwollenen Adern unter der penetranten Schleimigkeit einer
"positiven" Liebesreligion, waren aber durch die kindische
Fixierung auf das nebensächliche Maskensymbol gleichwohl ebenfalls
zur ANTI-Ideologie verurteilt.
Sie sagten beide dasselbe. Hier kommen wir zu
einer zutiefst chauvinistischen Besonderheit der deutschen Ideologie
(natürlich nicht derer, die die wissenschaftliche Weltanschauung
der DDR noch nicht aufgegeben haben): Die Herrschenden haben
"Antifaschismus" zu einer Religion
verkehrt, genauer zu einer deutschen Missionierungsreligion, die
jedem Materialismus, jeder Rationalität ins Gesicht schlägt und
vollständig in die deutsche EU-Ideologie einging. Die "Omas
gegen Rechts", die, bei wahrscheinlich einstmals lautersten
Absichten, für jede Pro-EU-Jubelveranstaltung zu instrumentalisieren
sind, bringen diese Seite der kleinbürgerlichen Bewusstseinsspaltung
gut zum Ausdruck. Die "Tag-der-Freiheit"-Religiösen
stellen nichts davon in Frage, den EU-Chauvinismus nicht, von Nuancen
abgesehen, und die gemeinsame Grundlage, den Antikommunismus, absolut
nicht, sie forcieren ihn sogar, indem sie den Endsieg des Altreichs
über die DDR in jedem Redebeitrag beschwören. Was sie in ihrem
inneren Widerspruch zum Ausdruck bringen, ist tatsächlich das größte
ideologische Mobilisierungsproblem der deutsch-chauvinistischen
EU-Ideologie: sie ist eine reine Anti-Ideologie (angeblich:
antifaschistisch, antinational, antirassistisch, antiautoritär,
wirklich: antisozialistisch, antikommunistisch, antisouveränistisch).
Die Krise verschärft aber noch jede kleinste Ungleichzeitigkeit bei
der kapitalistischen Aufteilung der Welt. Mit einem Sammelsurium von
"Anti" wird der deutsche Imperialismus seine Hegemonie auch
nach innen, ins Hinterland, nicht mehr behaupten. Die "Tag der
Freiheit"-Kleinbürger haben schneller reagiert als ihr
Gegenpart: eine positive Religion muss wieder her, aus allen
verwesenden Fetzen zusammengeflickt, die sich dazu noch auffinden
lassen.
Über die Methode, die der Wahnsinn hat, eine
Anekdote von gestern. Ich finde, über den verordneten „Krampf
gegen rächts“ habe ich mich in letzter Zeit genug geäußert.
Schauen wir also diesmal auf die Seite der „Tag der
Freiheit“-Gemeinde, um auch hier zu sehen, welcher Debilität der
zur neudeutschen Paltungsreligion umfunktionierte „Antifaschismus“
zutreibt.
Seit gestern kursiert aus „Tag der
Freiheit“-Kreisen ein Video, das den Polizisten bei der Arbeit
zeigt, der der Menge die Auflösung der Versammlung verlas. Da er den
Veranstaltern, die ihn die ganze Zeit durch den Mund des fanatischen
Antikommunisten Stephan Bergmann („Merkel will den Kommunismus
wieder einführen“) persönlich provozieren wollten, am Ende das
Offensichtliche sagte, dass er dort seinen Job machte, also das tat,
wozu er nun mal in diesem Einsatz beauftragt war, haben „Erweckte“
das Video mit einem Kommentar versehen, in dem der Berliner Polizist
mit dem faschistischen Massenmörder Adolf Eichmann auf eine Stufe
gestellt wurde, weil der, wie man aus Arendts fragwürdiger
„Banalität des Bösen“ weiß, ja auch „seine Pflicht getan“
zu haben reklamierte. Ich fragte nun bei den Urhebern dieses
erbärmlichen, durch keine vorgeschobene Dummbatzigkeit mehr zu
entschuldigenden Vergleichs, wieso sie eigentlich, wenn sie im Sinne
des Anliegens der Vorabdiffamierung als „rechtsoffen“ oder
Eindeutigeres keinen Raum geben möchten, dann ausgerechnet den Titel
eines faschistischen Propagandafilms von 1935, nämlich „Tag der
Freiheit“ von Leni Riefenstahl, als Motto ihrer Veranstaltung
wählten. Sofort kam von der Glaubensstreiterin zurück: „Du
gehörst also auch zu den Systemlinken die uns zu Nazis und
Antisemiten erklären“. Ich hatte zwar nichts davon im Sinn,
sondern fragte mich einfach, wie man so unausstaunbar dumm sein kann
(falls nicht direkt ein Geheimdienst bei dem Motto die Feder führte),
aber die Anekdote spricht Bände: Die bloße Erwähnung, dass sie
hinter einem Riefenstahl-Propaganda-Motto herlaufen, führt zur
persönlichen Diffamierung des Gegenübers durch einen Popanz, den
man gemeinsam mit dem Gegner aufbaute, im gleichen Atemzug wird ein
armer Polizeibeamter mit dem Auschwitzmörder
Eichmann auf eine Stufe gestellt. Hier ist hoffentlich bald der
Endpunkt der „Antifaschismus-Religion“ des konterrevolutionären
Messianismus erreicht, denn sie beinhaltet die Zerstörung jeder
Aufklärung und Gesprächsmöglichkeit. Bleibt noch zu erwähnen,
dass der Eichmannbezug inspiriert war durch das seinerseits schon
religiöse Motto der konsumistischen Kleinbürgerideologie, das die
amtliche „Totalitarismusideologin“ Hanna Arendt lieferte: „Kein
Mensch hat das Recht zu gehorchen!“ (derzeit übrigens Titel einer
von der Merkel-Regierung geförderten Ausstellung in Berlin)
Man sollte diese Schichten in der Verzweiflung
ihrer tragischen Spaltung be-, aber nicht VER-urteilen. Aber
unterstützen dürfen Freidenker das NICHT, sofern sie ihre Berliner
Erklärung noch ernst nehmen. Man sollte sich klar sein: Sie werden
gefährlich, von Monat zu Monat gefährlicher, da von nicht
spaltender Ratio oder, wie die alten Griechen sagten: vom Logos,
immer schwerer zu erreichen.
Umso mehr, als sie mit dem, wozu
man sie unablässig treibt, keinen Bestand haben vor dem, was sie
gemäß Klassenauftrag von oben seit Jahrzehnten negieren: Der
wissenschaftlichen Weltanschauung und der Solidarität der
Arbeiterklasse.
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