Kultur: Entwicklung
der Menschen und ihrer Lebensweise in der Geschichte, im Prozess ihrer
Arbeit zur Aneignung und Umgestaltung der Natur und ihrer Tätigkeit zur
Entwicklung und Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die
dadurch entstehenden materiellen und ideellen Lebensbedingungen der
Individuen, ihre historische Qualität sowie die sozialen Bedingungen
ihrer Nutzung entscheiden über die historisch konkreten und sozial
bestimmten Möglichkeiten und Formen der Persönlichkeitsentwicklung der
Individuen und ihrer Lebensweise. Zugleich entsteht durch die
>>vergegenständlichte Wesenskräfte des Menschen<< (Marx,
MEW, Ergänzungsband 1. S. 543) in materiellen und geistigen Leistungen,
sozialen Erfahrungen, kulturellen Traditionen und subjektiven
Fähigkeiten die Möglichkeit einer ständigen Höherentwicklung der
Gesellschaft und der Menschen, es vollzieht sich ein
universalgeschichtlicher Prozess der >>Entwicklung der
menschlichen Herrschaft über die Naturkräfte, die der sogenannten Natur
sowohl, wie seiner eigenen Natur<< (Marx, Grundrisse, S. 387).
Zur Kultur einer
Gesellschaft gehören die Gesamtheit der objektiven und subjektiven
Ergebnisse menschlicher Tätigkeit, in denen sich die Entwicklung der
Menschen ausdrückt; das jeweils historisch-konkrete Ensemble der
Lebensbedingungen der Individuen, das die tatsächlich genutzten
Ergebnisse menschlicher Tätigkeit und deren Weiterentwicklung umfasst;
die Art und Weise, wie und mit welchen Ergebnissen die Individuen an der
Produktion, der Verteilung, dem Austausch und der Nutzung des
gesellschaftlichen Reichtums teilnehmen; die sich in der praktischen und
geistigen Lebenstätigkeit herausbildenden sozial determinierten
Bedürfnisse, Fähigkeiten, Genüsse und Produktivkräfte der Individuen;
die Formen des sozialen Verkehrs und der geistigen Kommunikation in der
Gesellschaft (einschließlich der dafür ausgebildeten Instrumentarien,
Techniken und Zeichen); die die sozialen Beziehungen und das persönliche
Verhalten der Individuen regelnden Erfahrungen, Gewohnheiten, Normen,
Rechtsvorschriften, Traditionen und Wertorientierungen; die Bräuche,
Kulte und Riten in der jeweiligen Lebensweise, die Formen der
Geselligkeit, des Spiels und der Unterhaltung; die ideologischen
Interpretationen und Reflexionen des Verhältnisses der Menschen zur
Natur und seiner gesellschaftlichen Stellung und Perspektive in Kunst
und Weltanschauung und deren Einwirkungen auf die gesellschaftlichen
Verhältnisse und individuellen Verhaltensweisen; die Organisationen und
Institutionen des Überbaus, die von historischen Gesellschaften,
ethnischen bzw. lokalen Gemeinschaften, sozialen Klassen und Schichten
geschaffen werden, um kulturelle Ziele zu verwirklichen (Bildungs- und
Erziehungseinrichtungen, Kommunikationsmittel, Kultstätten,
künstlerische Einrichtungen, religiöse Institutionen, wissenschaftliche
Lehr- und Forschungsstätten, Organisationsformen von Geselligkeit,
Unterhaltung, Erholung und Vergnügen).
Jede
Kultur existiert in objektiver und subjektiver Form. Als objektive
Kultur wirkt die Gesamtheit der schöpferischen Leistungen, die von der
Menschheit in ihrer historischen Praxis geschaffen wurden und die sowohl
in materiellen und geistigen Leistungen als auch in sozialen
Erfahrungen und kulturellen Traditionen >>objektiviert<<
sind. Zur objektiven Kultur gehören ebenfalls die stets neu und auf
ständig erweiterter Stufenleiter produzierten Ergebnisse der aktuellen
Lebenstätigkeit der Individuen. Kultur sind diese geschichtlichen im
aktuellen Errungenschaften der menschlichen Lebenstätigkeit jedoch nur,
wenn sie im gesellschaftlichen Leben tatsächlich angeeignet, genutzt und
weiterentwickelt werden, wenn sie zum historisch-konkreten und sozial
bestimmten Ensemble der Lebensbedingungen der Individuen gehören oder
werden. Die subjektive Kultur einer Gesellschaft äußert sich im jeweils
erreichten historisch-konkreten und sozial bestimmten Niveau der
Bedürfnisse, Eigenschaften, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Genüssen und
Produktivkräfte der Individuen sowie in deren Vermögen, zur Erhaltung
und Fortentwicklung der Gesellschaft beizutragen.
Im Gegensatz zu
bürgerlich-idealistischen Konzeptionen, die in der Kultur ein autonomes
Reich der höheren Werte jenseits des praktischen Lebens der arbeitenden
Menschen sehen, die Kultur auf das >>Seelische und
Geistige<< jenseits des >>nützlich geformten Daseins<<
reduzieren, versteht der Marxismus-Leninismus unter Kultur stets ein
Ensemble objektiver Lebensbedingungen und individueller Eigenschaften.
Die
Arbeit
ist die Grundlage jeglicher Kultur, alle Kultur entsteht durch die
schöpferische Tätigkeit der Menschen in der materiellen und geistigen
Produktion – ob es sich um die im gesellschaftlichen
Reproduktionsprozess erzeugten Produktivkräfte der Gesellschaft und der
Individuen handelt oder um einmalige schöpferische Leistungen besonderer
Individuen:
Werke der Wissenschaft und Kunst, Errungenschaften der Politik oder des
Rechts, Veränderungen in der Natur und Fortschritte in der
Gesellschaft. Durch die Arbeit und die gesamte Lebenstätigkeit werden
die jeweils herausgebildeten Bedürfnisse und Fähigkeiten der Individuen
in materiellen Produkten, geistigen Leistungen, sozialen Erfahrungen und
kulturellen Traditionen vergegenständlicht. Das ermöglicht es
nachfolgenden Generationen und späteren Gesellschaften und Kulturen,
sich die Errungenschaften früherer Produktionsweisen und Kulturstufen
anzueignen. In diesem Sinne regelt die Kultur die komplizierten Prozesse
der sozialen Vererbung, die Bewahrung und Weitergabe der Traditionen
und ihre ständige Veränderung und Fortentwicklung in jeder neuen
Gesellschaftsordnung und Kulturstufe.
Die Kultur ist also
Bestandteil und Ergebnis der gesamten menschlichen Tätigkeit, in der die
Menschen ihre praktischen und geistigen Fähigkeiten vor allem durch die
Arbeit vergegenständlichen und damit den Prozess der Entwicklung der
Gesellschaft und des Menschen selbst praktisch realisieren. In der
Kulturentwicklung drückt sich aus, inwieweit die Menschen sich aus der
Natur herausgearbeitet haben, inwieweit sie zum Herren ihrer eigenen
Vergesellschaftung geworden sind. Das ist zugleich ein ständiger Prozess
der Entstehung, Entwicklung, Differenzierung und Veränderung der
Bedürfnisse, Eigenschaften, Fähigkeiten, Genüsse und Produktivkräfte der
Individuen. An der Kulturentwicklung haben die Angehörigen der
verschiedenen sozialen Klassen und Schichten einen unterschiedlichen
Anteil, sowohl was die Produktion wie die Nutzung der kulturellen Werte
und Leistungen angeht. Schöpfer der Kultur sind sowohl die in der
materiellen Produktion Tätigen als auch die geistig Schaffenden.
Die menschliche Kultur
ist das Ergebnis der naturverändernden und gesellschaftsgestaltenden
Tätigkeit der Volksmassen, die durch ihre produktive Arbeit und ihre
Teilnahme an den politischen Kämpfen die Höherentwicklung der
Gesellschaft und des Individuums praktisch verwirklichen. Darüber hinaus
entstehen durch die Arbeit auch alle Voraussetzungen (Zeit, Material,
Geld) für das geistige Schaffen und die künstlerische Kultur. Auch
werden wesentliche Leistungen der geistigen Kultur erst wirksam durch
die entsprechende >>Vergegenständlichung<< der Ideen.
Insofern ist die Arbeit sowohl Kulturprozess als auch Grundlage der
Kultur. Dieser Prozess trägt Klassencharakter, seitdem und solange es
Klassen in der Gesellschaft gibt. W. I. Lenin hat nachgewiesen, dass
sich im Kapitalismus zwei Kulturen unversöhnlich gegenüberstehen, die
reaktionäre bürgerliche Kultur als die herrschende Kultur in der
Gesellschaft und die Elemente einer demokratischen und sozialistischen
Kultur, die von der Arbeiterklasse und der fortschrittlichen
bürgerlichen Intelligenz geschaffen wird. Der Klassencharakter der
Kultur wird von den ökonomischen, politischen und ideologischen
Verhältnissen und ihrer sozialen Widersprüchlichkeit bedingt und ist
selbst Ausdruck dieser Verhältnisse. In den antagonistischen
Klassengesellschaften ist die herrschende Kultur stets die Kultur der
herrschenden Klasse. Den Hauptanteil des gesellschaftlich geschaffenen
kulturellen Reichtums eignen sich stets die herrschenden Klassen und ihr
Anhang an, während die Werktätigen meist nur über jenen Anteil an der
materiellen und geistigen Kultur verfügen, der für die Reproduktion
ihrer Arbeitskraft unerlässlich ist. Dieser Gegensatz wird im
Imperialismus auf die Spitze getrieben. Mit dem Übergang vom
Kapitalismus zu Sozialismus ergibt sich die Notwendigkeit der
revolutionären Umwälzung der Kultur und Lebensweise des Volkes durch die
sozialistische Kulturrevolution.
Aus: Kleines politisches Wörterbuch, sechste Auflage, Dietz Verlag Berlin 1986, Seiten 531/533.
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