Zitat:

Es setzt sich nur so viel Wahrheit durch, als wir durchsetzen; der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein. - Bertold Brecht, „Leben des Galilei“

Zitat:

Bedrohlich ist das Volk für die Herrschenden, wenn es ohne Furcht ist.“ -Tacitus (römischer Historiker)

Zitat:

Die Furcht vor Übervölkerung tritt stets in Perioden auf, in denen der bestehende Sozialzustand im Zerfall begriffen ist. August Bebel

Montag, 26. Januar 2009

Nation

Nation: Struktur- und Entwicklungsform der Gesellschaft in der kapitalistischen und kommunistischen Gesellschaftsformation. Die Nation entsteht gesetzmäßig mit der Herausbildung der ökonomischen Gesellschaftsformation des Kapitalismus als Produkt ökonomischer, hierauf beruhend auch sozialpolitischer, kultureller und ideologischer Entwicklungsprozesse und historischer Klassenkämpfe zwischen den von der progressiven Bourgeoisie geführten Volksmassen und dem Feudaladel. Die Funktion der Nation im gesellschaftlichen Entwicklungsprozess besteht darin, durch den Zusammenschluss großer Menschengruppen mittels nationaler Beziehungen eine Form des Zusammenwirkens der Menschen zu schaffen, in deren Rahmen sich Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse, Kultur, Wissenschaft und Technik in wachsendem Maße entfalten können. Die Nation ist ein wichtiges Element der Struktur der kapitalistischen Gesellschaftsformation; diese entwickelt sich konkret-historisch immer in der Form einer bestimmten kapitalistischen Nation. Nach dem Sieg der sozialistischen Revolution bleibt die Nation ein wichtiges Element der Struktur der kommunistischen Gesellschaftsformation: Die sozialistische Gesellschaft als erste Phase dieser Gesellschaftsformation entwickelt sich konkret-historisch immer in der Form einer bestimmten sozialistischen Nation. Als Entwicklungsform der Gesellschaft ist die Nation eine bedeutende geschichtliche Kraft, die den gesellschaftlichen Fortschritt beschleunigt.
Ihr Inhalt wird vor allem durch die ökonomischen, sozialen, politischen und ideologischen Prozesse sowie durch die Gesetzmäßigkeiten der jeweiligen Gesellschaftsformation bestimmt. Zugleich gehen in den Inhalt der Nation auch die ethnischen Eigenschaften, Merkmale und Bindungen der Menschen (Sprache, Bindung an das heimatliche Territorium, Besonderheiten der Lebensweise und Kultur, Sitten, Gebräuche, Traditionen, Bewusstsein der Zusammengehörigkeit) ein und verbinden sich mit dem sozialen Inhalt der Nation. Die soziale Seite ist für den Inhalt der Nation bestimmend, weil hierdurch ihr sozialhistorischer Typ, ihr Klassencharakter und ihre Entwicklungsrichtung festgelegt sind. Die Nation wird durch große Menschengruppen, durch die Klassen und Schichten einer Gesellschaft gebildet, die untereinander nationale Beziehungen entwickeln. Das sind ökonomische, sozialpolitische, ideologische Bindungen, die sich mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktions- und Austauschweise, mit der Entstehung des inneren Marktes auf einem bestimmten Territorium, in einem bestimmten Sprachgebiet und kulturellen Milieu unter einer größeren Bevölkerung herausbilden, mit den ethischen Bindungen verschmelzen und diese Bevölkerung zu einer sozialen Einheit, zu einer nationalen Gemeinschaft, integrieren.
Die Interessen der Bourgeoisie, der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Feudaladel, später zwischen Proletariat und Bourgeoisie, üben einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der nationalen Beziehungen und der Nation aus. Die kapitalistische Nation kann nur bedingt als Gemeinschaft betrachtet werden, weil sie durch eine zunehmende Klassendifferenzierung, durch Klassenantagonismus und durch einen sich verschärfenden Klassenkampf charakterisiert ist. In diesem Sinne spricht Lenin von zwei Nationen, die in jeder bürgerlichen Nation vorhanden sind. (Lenin, Bd. 20, S. 17) Die gemeinschaftsbildenden Faktoren im Entwicklungsprozess der Nation sind vor allem die Gemeinsamkeit des Wirtschaftslebens, eine relativ geschlossenes Territorium als Siedlungsgebiet, die Gemeinsamkeit oder Verwandtschaft der Sprache, Kultur, der Sitten, Gebräuche und Lebensgewohnheiten. Diese sozialen und ethischen Faktoren gewannen ihre gemeinschaftsbildende Kraft erst auf der Grundlage der sich entwickelnden kapitalistischen Produktionsweise, obwohl sie selbst sich früher herausgebildet hatten. Auch der Staat wurde durch seine zentralisierende Rolle zu einem Faktor, der die Entstehung und Konsolidierung der Nation förderte und entscheidend beeinflusste. Die Nation als eine gesetzmäßig entstandene Struktur- und Entwicklungsform der Gesellschaft ist durch folgende allgemeine Kennzeichen charakterisiert: durch den historischen Charakter ihrer Entstehung und Entwickelung zusammen mit der kapitalistischen oder der kommunistischen Gesellschaftsformation, durch ihre ökonomische Grundlage, durch die Sprache als wichtigstes Mittel des Verkehrs und die das Territorium, auf welchem der Zusammenschluss der nationalen Gemeinschaft und in der Regel die Errichtung eines Nationalstaates erfolgt.
Die Entstehung und Entwicklung der Nation ist ein komplizierter sozialer Prozess, der in den einzelnen Ländern sehr Unterschiedlich verlaufen kann. In Europa haben sich die ethnischen Grundlagen der späteren Nationen bereits in der Feudalgesellschaft herausgebildet. Hier entstanden die Nationalitäten, aus denen später, in Verbindung mit dem Königtum und auf der ökonomischen Grundlagen der kapitalistischen Produktionsweise, die modernen Nationen hervorgingen. Die Nationen unterscheiden sich voneinander durch zwei Gruppen von gesellschaftlichen Erscheinungen: 1. durch Aspekte der sozialökonomischen und kulturellen Entwicklung, wie Niveau und Besonderheiten der Ökonomie, Eigenarten der Sozialstruktur, der politischen Ordnung und des geistigen Lebens, und 2. durch spezifisch nationale Merkmale, wie eigentümliche Züge der Kultur, der Lebensweise, der Sitten, Gebräuche und Traditionen wie auch der Sozialpsyche.
Während die erste Gruppe dieser unterscheidenden gesellschaftlichen Erscheinungen einen Prozess der Annäherung und Internationalisierung im Rahmen der jeweiligen ökonomischen Gesellschaftsformation unterliegt, bewahrt die zweite eine große Beständigkeit, weil es sich hierbei um die ethnischen Eigenschaften und Züge der Nation handelt.
Im gesellschaftlichen Entwicklungsprozess haben sich zwei grundlegende Typen von Nationen herausgebildet: die kapitalistische und die sozialistische Nation. Die kapitalistische Nation ist eine Entwicklungsform der kapitalistischen Gesellschaft. Ihre ökonomische Grundlage ist die kapitalistische Produktionsweise, daher ist sie in antagonistische Klassen gespalten und wird durch Klassenkämpfe und soziale Konflikte geprägt. Ihre führende Kraft ist die Bourgeoisie, und das Schicksal der Nation ist untrennbar mit der Entwicklung des Kapitalismus und der herrschenden Bourgeoisie verbunden. Solange sich der Kapitalismus in seiner Aufstiegsphase befindet, kann er auch der Nation eine Entwicklungsperspektive bieten, und die Bourgeoisie kann als Repräsentant der Nation auftreten, weil ihre Klasseninteressen weitgehend mit den nationalen Interessen übereinstimmen. Im Stadium des Niedergangs des Kapitalismus, im Imperialismus, entsteht jedoch ein immer tiefer werdender Konflikt zwischen den Interessen der Nation und denen der herrschenden Monopolkapitalisten, weil der Imperialismus einen großen Teil der Produktivkräfte in Destruktivkräfte verwandelt und durch seine Kriegspolitik und seine wachsende Tendenz zur Reaktion nicht nur zu einem Hemmnis des weiteren Fortschritts der Nation, sondern auch zu einer Bedrohung ihrer Existenz wird. Die kapitalistische Produktionsweise war lange Zeit ökonomische Grundlage und Triebkraft für die Entwicklung der kapitalistischen Nation, im Imperialismus aber treibt sie selbst zu deren Auflösung und schafft die materiellen Bedingungen für ihre Umwandlung in die sozialistische Nation. Die Produktivkräfte des Kapitalismus wachsen über den nationalen Rahmen hinaus, sie nehmen internationalen Charakter an und untergraben damit die ökonomische Grundlagen der kapitalistischen Nation. Der Kapitalismus bringt zwei Tendenzen in der Entwicklung der Nation hervor, die in ihrer Einheit ein allgemeines Gesetz dieser Gesellschaftsformation sind: 1. die Tendenz zum Erwachen des nationalen Lebens, zum Kampf gegen Unterdrückung, zur Schaffung von Nationalstaaten; 2. die Tendenz zur Entwicklung der Beziehungen zwischen den Nationen, zur Herausbildung der internationalen Einheit des Kapitals und des gesamten wirtschaftlichen Lebens, zur Internationalisierung der Produktivkräfte, der sozialpolitischen Erfahrungen der Völker, der Wissenschaft, Technik und der gesamten Kultur.
Die Internationalisierung des gesellschaftlichen Lebens führt zur Annäherung der Nationen und zur Beschleunigung ihrer Entwicklung. Daher ist sie ihrem Wesen nach ein progressiver Prozess. Da dieser jedoch den Klasseninteressen des Monopolkapitals untergeordnet ist, erfolgt er in antagonistischer Form. Er ist mit der reaktionären Politik der gewaltsamen Angliederung, Unterwerfung und Ausbeutung schwächerer Nationen verbunden. Im Zuge dieser Politik schafft das internationale Monopolkapital supranationale oder transnationale Vereinigungen mit dem Ziel, die kapitalistische Nation rationeller auszubeuten. Selbst hochentwickelte imperialistische Länder geraten dadurch in ökonomische und politische Abhängigkeit von noch stärkeren imperialistischen Konkurrenten und vom internationalen Finanzkapital. Die Ideologie dieser Politik ist der Nationalismus und der Kosmopolitismus.
Die weitere Entwicklung der Nation ist untrennbar mit dem revolutionären Kampf der Arbeiterklasse um die Beseitigung des Imperialismus und die Errichtung des Sozialismus verbunden. Die Arbeiterklasse vertritt die wahren Interessen der Nation. Sie verbindet ihre soziale Aufgabe, die Befreiung der Werktätigen von kapitalistischer Ausbeutung und Klassenunterdrückung, mit der nationalen Aufgabe, die Nation von der Bedrohung durch den Imperialismus zu befreien. Indem sich die Arbeiterklasse als die entschiedenste Vorkämpferin der nationalen Interessen bewährt, sammelt sie alle fortschrittlichen nationalen Kräfte um sich und führt die Nation auf den Weg des gesellschaftlichen Fortschritts. Durch die sozialistische Revolution und den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft gestaltet sie die Existenzgrundlage der Nation um, gibt ihr einen qualitativ höheren Typ der nationalen Gemeinschaft, die sozialistische Nation. Bei dieser Umgestaltung bleibt die ethnische Grundlage der Nation im wesentlichen erhalten (Sprache, Beziehung zum Territorium, spezifische Besonderheiten der Kultur und der Sozialpsyche, Sitten, Gebräuche, Lebensgewohnheiten), während sich die soziale Natur der Nation grundlegend verändert (ökonomische und politische Beziehungen, Sozialstruktur, Inhalt der Kultur und Ideologie). Die sozialistische Nation beruht auf der sozialistischen Produktionsweise. Sie kennt keine Klassenantagonismen, sondern ist durch eine wachsende politisch-moralische Einheit des Volkes gekennzeichnet. Deshalb ist sie auch wesentlich stabiler als die kapitalistische Nation.
Mit der Herausbildung der sozialistischen Nation beschleunigt sich die gesellschaftliche Entwickelung im nationalen und internationalen Rahmen. Es vollzieht sich ein rascher Aufschwung der Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur sowie der sozialpolitischen Aktivitäten der sozialistischen Nation. Die sozialistische Nation gewinnt zugleich ein neues Verhältnis zu den anderen Nationen. Wenn für die Beziehungen zwischen den kapitalistischen Nationen Feindschaft, Streben nach Unterdrückung, Übervorteilung und Ausbeutung anderer Nationen charakteristisch sind, so werden die Beziehungen zwischen den sozialistischen Nationen durch die Prinzipien des proletarischen Internationalismus bestimmt. Die sozialistische Nation und die nationalen Beziehungen im Sozialismus sind durch die Wechselwirkung nationaler und internationaler Züge charakterisiert. Dabei wächst das spezifische Gewicht des Internationalen mit der weiteren Entwicklung des reifen Sozialismus und seinem allmählichen Übergang zum Kommunismus. Im Ergebnis dieses Prozesses entsteht eine internationale Gemeinschaft gleichberechtigter Nationen. Auch in der kommunistischen Gesellschaftsformation wirken zwei Tendenzen in der Entwicklung der Nation und der nationalen Beziehungen. Sie ergeben sich historisch aus den bereits charakterisierten Tendenzen des Kapitalismus, gewinnen aber im Sozialismus einen qualitativ neuen Inhalt: 1. die Tendenz zur freien nationalen Entwicklung durch das beständige Aufblühen der Nation; 2. die Tendenz zur ständigen allseitigen Annäherung der Nationen mit dem schließlichen Resultat ihrer Verschmelzung in der späteren Zukunft.
Diese beiden Tendenzen entwickeln sich im Sozialismus in harmonischer Wechselwirkung, wobei die Tendenz zur Annäherung der Nationen führend ist. Hierdurch entsteht der sozialistische Typ der Internationalisierung des gesellschaftlichen Lebens, der frei von Antagonismen ist. Die Annäherung der sozialistischen Nationen und die Schaffung einer internationalen Gemeinschaft vollzieht sich auf der Grundlage der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten des Sozialismus und unter Beachtung der Souveränität und Gleichberechtigung sowie der Interessen jeder Nation. Die internationale Gemeinschaft der sozialistischen Nationen entwickelt sich als Staatengemeinschaft. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die sozialistische ökonomische Integration, welche zur Herausbildung einer sozialistischen Weltwirtschaft führt und zugleich den Fortschritt der nationalen Wirtschaften beschleunigt. Die Annäherung der sozialistischen Nationen ist in komplizierter und langwieriger Prozess. Er erfolgt in allen Lebensbereichen der Gesellschaft und führt allmählich zu einer Angleichung des ökonomischen Entwicklungsniveaus der einzelnen Nationen. Nationale Unterschiede werden jedoch noch lange Zeit bestehen bleiben. Sie können erst im Ergebnis einer längeren Entwicklung im Kommunismus verschwinden, nachdem die Annäherung der Nationen zu ihrer völligen Einheit und schließlich zu ihrer Verschmelzung geführt haben wird. Daraus folgt, dass die Nation noch für einen langen geschichtlichen Zeitraum eine notwendige Struktur- und Entwicklungsform der Gesellschaft bleiben wird. Der wissenschaftliche Kommunismus weist alle Angriffe auf die Nation und die nationale Souveränität zurück und wendet sich entschieden gegen alle Versuche, die Annäherung der sozialistischen Nationen zu hemmen oder ihre Verschmelzung gewaltsam zu forcieren.
Bürgerlich-kosmopolitische Vorstellungen von der Schaffung eines übernationalen „Weltstaates“ haben mit der marxistisch-leninistischen Theorie und dem sozialistischen Internationalismus nichts gemein. Sie spielen nur dem Imperialismus in die Hände und richten sich objektiv gegen die freie Entwicklung der sozialistischen Nation und der jungen Nationalstaaten. …
Auszug aus „Kleines Politisches Wörterbuch“ sechste Auflage, Dietz Verlag Berlin 1986, seite 632 – 637

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